Auf dem Weg in die Peripherien dieser Welt

02. April 2013
Vor drei Wochen wurde Kardinal Bergoglio aus Buenos Aires zum Bischof von Rom und Nachfolger Petri gewählt. Als Papst Franziskus beeindruckte er die Weltöffentlichkeit vor allem durch sein offenes und zugleich bescheidenes Auftreten. Die Anekdoten um sein unkonventionelles Verhalten verbreiteten sich in Windeseile um den Globus, auch außerhalb der katholischen Kirche wurden seine ersten Schritte mit großer Aufmerksamkeit verfolgt.

Der deutsch-amerikanische Literaturwissenschaftler Hans Ulrich Gumbrecht erkennt in den ungewohnten Gesten des Papstes gar „Anzeichen für das Aufheben sozialer Hierarchien“ und „Kondensationspunkte wiedergewonnener irdischer Konkretheit und Nähe“ (s. hier) So wichtig und symbolträchtig diese Gesten auch sind, so unvollständig wäre es, das Wirken des Papstes allein auf diese zu reduzieren. Seit dem 13. März, dem Tag seiner Wahl, hat Franziskus in mittlerweile mehr als 20 Ansprachen, Predigten und Grußbotschaften deutlich werden lassen, welches theologische Anliegen er verfolgt und wie er seinen Petrusdienst versteht. Gerade auch aus missionstheologischer Sicht lohnt es sich daher, nicht nur seine Taten, sondern auch seine Worte in den Blick zu nehmen.
Die vielleicht ausdrücklichsten Worte hat Papst Franziskus bislang dann gewählt, wenn er sich direkt an seine unmittelbaren Mitarbeiter – die Kardinäle, Bischöfe und Priester – gewandt hat. Dies geschah im besonderen Maße in der Eucharistiefeier, die er als frisch gewählter Papst mit den Kardinälen gefeiert hat, und in der Chrisammesse am Gründonnerstag. In beiden Predigten ist er auf das „Moment der Bewegung“ eingegangen, auf die Notwendigkeit, in die „Randgebiete hinauszugehen, wo das Leiden herrscht“:
„Die Leute mögen es, wenn das Evangelium so gepredigt wird, dass man die Salbung spürt, sie mögen es, wenn das Evangelium, das wir predigen, ihr Alltagsleben erreicht, wenn es wie das Salböl Aarons bis an den ‚Saum’ der Wirklichkeit hinabfließt, wenn es die Grenzsituationen, die ‚Randgebiete’ erleuchtet, wo das gläubige Volk stärker der Invasion derer ausgesetzt ist, die seinen Glauben ausplündern wollen. […] So müssen wir hinausgehen, um unsere Salbung zu erproben, ihre Macht und ihre erlösende Wirksamkeit: in den ‚Randgebieten’, wo Leiden herrscht, Blutvergießen; Blindheit, die sich danach sehnt zu sehen, wo es Gefangene so vieler schlechter Herren gibt.“ (s. hier)
Franziskus fordert die Priester dazu auf, sich in die Welt zu wagen ohne sich der „Weltlichkeit des Bösen“ zu unterwerfen, den „Mut [zu] haben, wirklich den Mut, in der Gegenwart des Herrn zu gehen mit dem Kreuz des Herrn“ (s. hier). Diese Worte erinnern stark an das Statement, das er noch als Kardinal im Rahmen der Unterredungen des Vorkonklaves abgegeben hat und das mittlerweile über den kubanischen Kardinal Jaime Ortega der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurde. Seinen Mitbrüdern gab Kardinal Bergoglio auf den Weg:
„Evangelisieren setzt voraus, dass die Kirche freimütig aus sich selbst herausgeht. Die Kirche ist dazu aufgerufen, aus sich selber heraus und an die Peripherien zu gehen, nicht nur an die geographischen, sondern auch an die existentiellen Peripherien.“ (s. hier)
Dieser Pflicht des Herausgehens – also der Evangelisierung – nicht in ausreichendem Maße nachgekommen zu sein, ist aus seiner Sicht die Ursache für viele Missstände in der Kirche. Demensprechend wünscht er sich eine Kirche, die wahrhaft evangelisiert und nicht bei sich verharrt:
„Es gibt zwei Ansichten von der Kirche: die evangelisierende Kirche, die aus sich herausgeht ‚Gottes Wort voll Ehrfurcht hörend und voll Zuversicht verkündigend’ (Dei Verbum 1) und die verweltlichte Kirche, die in sich, aus sich und für sich selber lebt. Diese Erkenntnis kann uns die Augen öffnen für mögliche Veränderungen und Reformen, die notwendig sind, um die Seelen zu retten.“ (ebd.)

Dass das Neue nicht nur faszinierend, sondern auch angsteinflößend sein kann, ist Papst Franziskus durchaus bewusst. In der Ostervigil hat er daher dazu ermuntert, sich immer wieder neu zu überwinden und auf die Überraschungen Gottes einzulassen:

„Das Neue macht uns häufig Angst, auch das Neue, was Gott uns bringt, das Neue, das Gott von uns verlangt. Wir sind wie die Apostel aus dem Evangelium: Oft ziehen wir es vor, unsere Sicherheiten beizubehalten, bei einem Grab stehenzubleiben im Gedanken an den Verstorbenen, der schließlich nur in der Erinnerung der Geschichte lebt wie die großen Persönlichkeiten der Vergangenheit. Wir haben Angst vor den Überraschungen Gottes; wir haben in unserem Leben Angst vor den Überraschungen Gottes! Er überrascht uns immer! So ist der Herr.“ (s. hier)

Die Ankündigung von Papst Franziskus beim Habemus Papam „Und jetzt beginnen wir diesen Weg, Bischof und Volk“ kann somit wirklich als ernstgemeinter Wunsch verstanden werden, sich gemeinsam auf den Weg in die Peripherien dieser Welt und den dort wartenden Überraschungen zu begeben. Die Barmherzigkeit und die Zuwendung zu den Armen sind dabei die entscheidenden Wegweiser. Unmissverständlich hat dies Franziskus in seiner Predigt am 5. Fastensonntag, im Rahmen seiner Amtseinführung oder bei dem Treffen mit den Medienvertretern deutlich gemacht: „Ach, wie möchte ich eine arme Kirche für die Armen!“

Dass dies für ihn keine leeren Worte sind, macht er immer wieder anhand symbolträchtiger Gesten deutlich, am stärksten vielleicht bei der Fußwaschung in einem Jugendgefängnis am Gründonnerstag. Die wenigen Worte, die er dort bei seiner Ansprache wählte, bringen seinen Weg der Evangelisierung auf den Punkt:
„Das ist es, was Jesus uns lehrt, und das ist es, was ich tue. Und ich tue es von Herzen, denn es ist meine Pflicht. Als Priester und als Bischof muss ich euch zu Diensten sein. Aber es ist eine Pflicht, die mir aus dem Herzen kommt: ich liebe es. Ich liebe es, und liebe, es zu tun, denn so hat es mich der Herr gelehrt. Aber auch ihr: Helft uns, helft uns immer! Einer dem andern.“ (s. hier)

Von: Gregor Buß

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