Fast acht Jahre diente Benedikt XVI. der Weltkirche. Welche „Brücken“ schlug der Papst, welche Missionsgedanken kennzeichneten sein Pontifikat? Für eine Bilanz legen seine drei Enzykliken die Grundlinie vor: Deus Caritas est (Gott ist Liebe, 2006), Spe salvi (Über die christliche Hoffnung, 2007) und Caritas in veritate (Die Liebe in der Wahrheit, 2009). In allen dreien geht Benedikt XVI. vom Kern des Evangeliums aus und nimmt Bezug auf die christliche Sendung.
In den Apostolischen Schreiben Sacramentum Caritatis (Über das Sakrament der Liebe, 2007) und Verbum Domini (Über das Wort Gottes, 2010) unterstreicht er die zentrale Bedeutung des Wortes Gottes und der Eucharistie für die Sendung der Kirche. Die von ihm veröffentlichten theologischen Bücher, Der Gott Jesu Christi (2006) und seine Trilogie über Jesus von Nazareth (2007-2012), können der missionarischen Praxis einen Weg weisen: Die Inkarnations- und Kreuzestheologie zeigt, welche Konsequenzen sich aus der Sendung Jesu Christi ableiten.
In Bezug auf die Weltkirche bleiben andererseits jene Spannungen in Erinnerung, die im Rahmen der fünften Vollversammlung des lateinamerikanischen und karibischen Episkopats (Aparecida, 2007) auftraten. Benedikt XVI. äußerte sich bei der Eröffnung der Vollversammlung zur Missionsgeschichte Lateinamerikas. Für ihn stellte die Verkündigung Jesu in der damals entdeckten neuen Welt keine Entfremdung der einheimischen Kulturen dar. Diese Sichtweise wurde von vielen Einheimischen und von Missionstheologen kritisch hinterfragt. Für sein Bemühen um den afrikanischen Kontext spricht die Afrika-Bischofssynode und das nachsynodale apostolische Schreiben Africae munus (Über die Kirche in Afrika, 2011). Darin listet Benedikt XVI. die Aufgaben für die katholische Kirche in den afrikanischen Ländern auf: Gerechtigkeit, Frieden und Versöhnung lauten die Leitlinien der pastoralen Arbeit. Mit Blick auf den westlichen Kontext fokussierte der Papst auf das Phänomen der säkularisierten Gesellschaft. In diesen Ländern, in denen die Kultur nicht mehr wesentlich vom christlichen Glauben geprägt wird, legte der Papst den Schwerpunkt auf die Neuevangelisierung: er errichtete den Päpstlichen Rat zur Förderung der Neuevangelisierung (2010) und berief im vergangenen Herbst eine Bischofssynode ein. Ihr Motto: „Die Neuevangelisierung zur Weitergabe des christlichen Glaubens“. Vor dem Rücktritt des Papstes dürfen wir auf die Ergebnisse dieser letzen Synode mit Spannung warten.
Die Beziehung zum Judentum und zum Islam lag dem Papst am Herzen. Im interreligiösen Dialog mit dem Islam drehten sich seine Gedanken um das Thema der Gewaltlosigkeit von Religionen auf Grundlage der Vernunft. Seine Vorlesung dazu an der Universität Regensburg (2006) löste heftige Diskussionen aus. Sein kontinuierliches Interesse an diesem Thema lässt sich ablesen an seinen Aussagen anlässlich seiner Türkeibesuche und in der gemeinsamen Erklärung von Vatikan und islamischen Theologen
schiitischer Prägung (2008). Den Dialog mit dem Judentum im Sinne der Tradition des II. Vatikanums betonte Benedikt XVI. stets. Jede Form von Rassismus und Antisemitismus verurteilte er, auch nach den belastenden Auseinandersetzungen um die Aufhebung der Exkommunikation von Bischöfen aus der Brüderschaft „Sankt Pius X.“.
Im Bereich der Ökumene setzte Benedikt XVI. missionarische Akzente, die unterschiedliche Reaktionen hervorriefen. Auf der einen Seite steht die Annäherung und Wertschätzung der orthodoxen Kirchen. Auf der anderen Seite die Beziehung zu den Kirchen der Reformation. Sie werden in den „Antworten auf Fragen zu einigen Aspekten bezüglich der Lehre über die Kirche“ als „kirchliche Gemeinschaften“ bezeichnet, nicht als Kirchen im eigentlichen Sinn. Die lehrmäßige Note zu einigen Aspekten der Evangelisierung (2007) betont das Recht und die Verantwortung, auch ihnen die Fülle des katholischen Glaubens zu verkünden.
Im Jahr 2012 eröffnete der Papst das Jahr des Glaubens. In dieses fällt sein Amtsverzicht. Die Katechese über den christlichen Glauben spricht von grundsätzlicher menschlicher Freiheit. Ob Benedikt XVI. mit seinem Verzicht eine neue Tradition eröffnete, wird die Geschichte zeigen. Eines ist nun klar, seine Entscheidung unterstreicht die Freiheit, die Gott als Voraussetzung für den Glauben will und fördert.
Von: Jorge Gallegos Sánchez