Nicht selten hatte das missionarische Wirken der Kirche unbeabsichtigte Nebenfolgen. In Anlehnung an den Freiburger Historiker Wolfgang Reinhard könnte man von der „Dialektik der Mission“ sprechen. Ein typisches Beispiel für eine solche Dialektik ist das so genannte Rituale Romanum, das vor genau 400 Jahren, 1614, als die „letzte Frucht“ des Konzils von Trient (1545-1563) durch Papst Paul V. in Kraft gesetzt wurde. Erst der unmittelbare Namensnachfolger Pauls V., Papst Paul VI., stellte dieses liturgische Buch, in dem religiöse Feiern wie Taufe, Eheschließung oder Krankensalbung geregelt wurden, 1964, also vor genau 50 Jahren, außer Dienst.
Bei anderen Reformprojekten wie der Überarbeitung von Stundenbuch (1568), Messbuch (1570) und Heiligenverzeichnis (1584), von Pontificale Romanum (1596) und Caeremoniale Episcoporum (1600), hatte man zuvor, dem Trienter Reformprogramm gemäß, vor allem auf Vereinheitlichung gesetzt. Weltweite liturgische Uniformität war das Ziel. Nicht so 1614 im Falle des römischen Rituale. Paul V. deutete im Promulgationsdekret an, dass er sein Werk gerade „nicht im Sinne eines auferlegten Welt-Rituale, sondern im Sinne eines angebotenen und empfohlenen Modell-Rituale“ aufgefasst wissen wollte, wie schon im Jahre 1964 der Trierer Liturgiewissenschaftler Balthasar Fischer feststellte. Bei jenen religiösen Ritualen, die besonders tief in das Leben der Menschen eingriffen, sollte nach der Meinung des Papstes nicht „liturgischer Zentralismus“, sondern „liturgischer Föderalismus“ zum Zuge kommen. Eine „kühne und sympathische Entscheidung“, wie Fischer befand. Tatsächlich herrschte in Europa über Jahrhunderte hin eine friedliche Koexistenz des „neuen“ römischem Rituale mit zahlreichen älteren Diözesan-Ritualien, die weiterhin zum Einsatz kamen.
Gleichzeitig zeitigte das Rituale jedoch überall dort, wo keinerlei liturgische Lokaltraditionen bestanden, also vor allem in jenen Peripherien kirchlichen Neulandes, die man üblicherweise „Missionen“ nennt, eine geradezu kontraintentionale Wirkung. Schon die bloße Existenz eines römischen Regelwerkes scheint hier zentralisierende Effekte ausgelöst zu haben. Man mag von der „Dialektik der Mission“ sprechen oder einer missionsgeschichtlichen Paradoxie. Fischer nennt es dagegen eine wirkliche „Tragik“, dass ausgerechnet „das Liturgiebuch eines der großzügigsten Päpste der Neuzeit durch 350 Jahre die missionarische Adaption auf dem Sektor der Sakramentenspendung hoffnungslos im Sinne des Immobilismus und Europäismus blockiert hat.“ Gregor Klapczynski