Lehren aus den Antworten der katholischen Kirche auf HIV und AIDS in Afrika

09. Mai 2010

Verantwortlich:
Prof. Dr. Klaus Fleischer (Missionsärztliches Institut Würzburg)
Prof. Dr. Albert-Peter Rethmann (IWM)
Dr. Gregor Buß (IWM)

Kontakt: buss(at)iwm.sankt-georgen(dot)de

1 Anlass und Ausgangslage

1.1 Entwicklung von HIV und AIDS Epidemie in Afrika

Der afrikanische Kontinent ist weltweit am schwersten von der Ausbreitung des Immunschwäche Virus HIV betroffen. Mehr als sechs von zehn Menschen mit HIV leben in den Ländern südlich der Sahara, insgesamt 24,5 Mio. (UNAIDS; Stand 20081). Von den insgesamt 50 Mio. Menschen, die sich seit Beginn der Ausbreitung angesteckt haben, lebten mehr als zwei Drittel in Afrika. Nach einem durchschnittlichen Krankheitsverlauf von sechs bis zehn Jahren starben bisher nahezu 20 Mio. Menschen im Endstadium an AIDS und an den Begleitkrankheiten der Immunschwäche, allen voran der Tuberkulose2.
Da in Afrika der heterosexuelle Übertragungsweg überwiegt, sind Frauen deutlich häufiger betroffen als Männer. Viele der 13 Mio. HIV-positiven Frauen übertragen das Virus während einer Schwangerschaft und der Stillphase auf ihre Neugeborenen. In Afrika kämpfen 2 Mio. Kinder um ihr Überleben mit der Immunschwächekrankheit3. Die Zukunftsaussichten sind aber auch für die 17 Mio. Kinder unter 17 Jahren düster, die wenigstens einen Elternteil durch AIDS verloren haben. Das ist jedes 10. Kind auf dem Kontinent. Viele von ihnen versorgen ihre Eltern in den Monaten und Jahren ihrer schweren Krankheit, verzichten dafür auf die eigene Bildung, werden traumatisiert durch den vorzeitigen Tod und beginnen ihr eigenes Leben in absoluter Armut.
Die Frage, warum die HIV-Epidemie gerade in Afrika solche Ausmaße angenommen hat, lässt sich nicht abschließend beantworten. Neben dem Risikoverhalten von Individuen müssen auch die Risikoverhältnisse betrachtet werden. Durch Mangelernährung oder weit verbreitete parasitäre Erkrankungen wird das Abwehrsystem der Menschen empfänglich für eine Ansteckung mit HIV. Die schwachen Gesundheitsdienste bekämpfen fördernde Begleitinfektionen wie Geschlechtskrankheiten nur unzureichend. Sie sind oft nicht in der Lage, bei der Übertragung von Blutkonserven eine Kontamination mit HIV auszuschließen.
Schwangerschaften und Geburten gehen in Afrika mit einem hohen Risiko einher. Die schlechten hygienischen Bedingungen fördern die Übertragung von im Blut befindlichen Krankheitserregern von Müttern auf ihre Kinder. Selbst durch das Stillen wird HIV übertragen, das ansonsten einen Nestschutz bietet vor Durchfallerkrankungen und anderen Infektionen, an denen die Kleinkinder sonst sterben.

1.2 Strukturelle Vulnerabilität versus individuellem Verhalten

Ein wesentlicher Grund, warum Frauen in Afrika deutlich mehr betroffen sind als Männer, ist in ihrer Stellung in Familie und Gesellschaft zu sehen. In Bezug auf Gesundheitsversorgung und Bildung sind Frauen auf dem Kontinent benachteiligt. Oft sind Frauen Opfer von familiärer oder gesellschaftlicher Gewalt. Zwangsheirat, Beschneidungen oder systematische Vergewaltigungen sind tägliches Schicksal von Frauen auf dem Kontinent4. Bemühungen, die Stellung der Frau auf eine Basis der Menschenrechte zu stellen, werden durch kulturell gefärbte Debatten, vermeintlich familiäre Werte wiederzubeleben, untergraben.
Männer werden oft durch Gruppendruck gezwungen, Risikoverhalten zu betreiben, z.B. in Kreisen der Streitkräfte oder anderer militärischer Verbände oder im Transport- und Fischereigewerbe. Viele Männer und Familien werden durch Armut, kriegerische Konflikte oder durch ihre Arbeitssituation auseinandergerissen und damit destabilisiert.
Nicht zuletzt schafft die Verbreitung von menschenverachtenden Konsummodellen u.a. durch moderne Medien neue Bedürfnisse, verstärkt Verdrängungsmechanismen und fördert Fehlinformationen zu HIV/AIDS. Daraus resultiert, dass Männer und Frauen in besseren Lebenssituationen u.U. mehr Risikoverhalten zeigen als materiell arme Menschen. Wohlstand ist nicht zwangsläufig ein Schutz gegen HIV.

1.3 Bedeutung von Stigma und Diskriminierung

Diese Faktoren der Vulnerabilität werden angeheizt durch Tabuisierung und Stigmatisierung. Negative Einstellungen gegen Menschen mit einer unheilbaren Krankheit, die gegen die Weitergabe von neuem Leben steht, sind mit stark abwehrenden, zum Teil homophoben Einstellungen in den von Traditionen geprägten Gesellschaften verbunden. Menschen werden aus ihren Familien verstoßen, Paare trennen sich, viele verlieren ihren Arbeitsplatz. Kinder leiden in besonderer Weise unter der Ausgrenzung und es kommt gelegentlich sogar zu gewalttätigen Übergriffen. Ende 2008 wurde weltweit z.B. über Angriffe gegen Homosexuelle im Senegal berichtet5. Kinder erleiden in jedem Fall dieselbe Ausgrenzung wie ihre Eltern und haben, wenn sie selber betroffen sind, einen deutlich schlechteren Zugang zu medizinischer Versorgung.
HIV/AIDS stellt nicht nur eine Katastrophe dar, sondern ist auch zu einem Faktor geworden, der Katastrophen beeinflusst6. Es wird diskutiert, ob HIV nicht sogar Auslöser sein kann. Dies zeigte sich an der Verschärfung von Hungersnöten im südlichen Afrika. Es gibt begründete Hinweise dafür, dass HIV in das Kalkül konflikttreibender Parteien einbezogen wird.
Afrikas vielfältige Entwicklungshemmnisse wie Armut, Gewalt, Krankheit, unzureichender und ungerechter Zugang zu Bildung, strukturschwache Wirtschaft, Korruption oder unfaire und ungerechte öffentliche Systeme sind nicht zu lösen, wenn man keine Antwort auf HIV findet.

1.4 Entwicklung der Antworten der katholischen Kirche auf HIV und AIDS

Kirchliche Gesundheits- und Sozialdienste haben bereits gegen Ende der 70er Jahre auf das rasch anwachsende Phänomen und seine Komplexität aufmerksam gemacht. Berichte aus dem von irischen Schwestern der Medical Missionaroes of Mary geleiteten, katholischen Krankenhaus in Kitovu, Uganda, über die grassierende ‚slim disease’, die die Erwachsenen der umliegenden Dörfer hinraffte und die Region entvölkerte, alarmierten die Welt. Den Schwestern und ihrem Personal standen kaum Arzneimittel zur Verfügung, Symptome zu bekämpfen, Leiden zu lindern und ein Sterben in Würde zu ermöglichen.
Die Zahl der Betroffenen war so groß, dass Hauskrankenpflege-Programme, häufig getragen von Laienhelfern, aufgebaut wurden. Eines der größten Programme weltweit entwickelte die katholische Diözese Ndola im Kupfergürtel von Sambia. Bald wurde klar, dass in den Familien nicht nur ein AIDS Kranker zu versorgen war. Die ganze Familie war gefährdet. Das Paar, bei dem u.U. einer der Partner noch nicht betroffen war, musste über Möglichkeiten beraten werden, sich vor einer Ansteckung zu schützen. Kinder und Jugendliche mussten betreut und begleitet werden. Sie mussten lernen, wie sie es schaffen konnten, zur ‚AIDS freien Generation’ zu werden. Priester und Ordensleute waren und sind gefordert, den Betroffenen und ihren Familien pastorale und spirituelle Begleitung zu geben.
Während einer Konferenz im Vatikan ermutigte Johannes Paul II. Gesundheitsarbeiter zur Hilfe und kirchliche Werke zur aktiven Solidarität. Er mahnte aber auch zur Vorbeugung durch Förderung von menschlichen Werten7. Die Deutsche Bischofskonferenz nahm erstmals 1997 zu dem Phänomen Stellung und stellte AIDS als pastorale Aufgabe der Kirche dar. Darin wurden aber weniger die weltweiten, als die hiesigen Herausforderungen in den Blick genommen8. Viele Bischofskonferenzen in Afrika haben nach eingehender Reflektion in Hirtenworten den Gläubigen und der Gesellschaft die Schwere des Problems vor Augen geführt, Menschen zu Verhaltensänderung angehalten, äußere Ursachen der Ausbreitung angeprangert, politisches und gesellschaftliches Engagement gefordert und sich für die Einbindung der Betroffenen ins Gebet eingesetzt9.
Die Leistung der kirchlichen Sozial- und Gesundheitsdienste ist nur schwer zu messen. Nach einer Befragung der Bischofskonferenzen errechnete das Päpstliche Rat für die Gesundheitspastoral im Jahr 2002, dass je nach Land zwischen 20 und 40% der Betroffenen in kirchlichen Einrichtungen versorgt wird. Auch wenn die Richtigkeit der Daten kaum überprüfbar ist, so erkennen die Staaten und die Akteure der internationalen Entwicklungszusammenarbeit an, dass die Kirche mehr leistet als sie Unterstützung aus öffentlichen Quellen bekommt.
Dem Zugang zu solcher Unterstützung für Leistungen am Allgemeinwohl steht eine Reihe von Schwierigkeiten entgegen. Die Leistung der kirchlichen Akteure ist unzureichend dokumentiert. Der Einsatz von Ressourcen ist oft nicht transparent. Ansätze der Kirche im Bereich der Prävention werden als gegensätzlich zu wissenschaftlichen Erkenntnissen gesehen. Der umfassende, wertorientierte Ansatz der Kirchen ist für den Dialog außerhalb eines kirchlichen Kontexts nur schwer verständlich. Die Kirche, obgleich selbst betroffen, macht im Dialog nach außen in manchen Fällen einen bewussten Unterschied zu Betroffenen10.

1.5 Umgang mit HIV-AIDS aus christlicher Sicht

Wichtig erscheint die Dokumentation des holistischen Ansatzes, wie er in der kirchlichen HIV/AIDS-Arbeit praktiziert wird. Im Unterschied zu vielen Publikationen aus dem protestantischen, insbesondere evangelikalen Bereich berücksichtigt ein solcher Ansatz nicht allein die individuelle Faktoren (Sündhaftigkeit) des Einzelnen. Eine Konzentration auf das individuelle Handeln verstärkt u.U. noch die Stigmatisierung, die in der betreffenden Gesellschaft bereits schon vorhanden ist. Ein holistischer Ansatz, wie wir ihn in einer Reihe katholischer Dokumente finden (vgl. die Pastoralbriefe und -pläne aus der äthiopischen Bischofskonferenz) berücksichtigt

(1) strukturelle Faktoren, die die HIV-Infektion und den Verlauf der AIDS-Erkrankung beeinflussen:

a. Armut
i. Arme sind u.U. weniger informiert z.B. über die Infektionswege.
ii. Arme sind je nach Kontext gezwungen, sexuell gefällig zu sein, um Geschenke oder Geld zum Überleben zu bekommen. Die Stillung von Hunger und das Sichern des Überlebens sind dringendere Bedürfnisse als die Vorsorge vor einer Krankheit, die möglicherweise erst in ein paar Jahren ausbricht. Die Sorge zu überleben und genug zu essen zu haben, überdeckt alle weitergehenden Fragen („culture of poverty“)
iii. Arme haben weniger Zeit an Informationsprogrammen teilzunehmen, weil sie mit dem täglichen Überlebenskampf zeitlich völlig ausgelastet sind.
iv. Armut macht apathisch. HIV/AIDS wird individuell nur als eine von vielen Gefahren angesehen, die die Gesundheit und das Leben bedrohen.
v. Sex-Business als Folge der Armut. Für das eigene Überleben oder den Unterhalt der Familie prostituieren sich Frauen.
vi. Sexuelle Gewalt: Nach WHO (2006) berichten 30 % der Frauen in 10 Ländern (aus verschiedenen kulturellen, geographischen und Stadt/Land-Kontexten), dass ihre erste sexuelle Erfahrung eine Folge von Gewalt oder Zwang war.
vii. Wohnungssituation: Nach UN-Habitat lebten 2001 weltweit 21,6 % aller Menschen in Slums, in Sub-Sahara-Afrika waren es 71,9 %. Damit verbundene soziale Probleme: Arbeitslosigkeit, schlechte Gesundheitsvorsorge und –versorgung, Fehlen von Schulen oder Schulen schlechter Qualität, schlechte Gesundheits- und Präventionsprogramme.
Hierbei ist allerdings wichtig zu unterstreichen, dass Armut allein noch keine hinreichende Erklärung der Ursachen für die Verbreitung von HIV/AIDS darstellt.

b. Analphabetismus/Bildungsdefizite
i. Fehlender Zugang zu geschriebenen Informationen über die Ursachen und Verbreitung von HIV/AIDS
ii. Menschen ohne Bildungschancen verstehen u.U. auch andere (nichtschriftliche) Informationskampagnen (Radio, Fernsehen, Workshops, Seminare) nicht in ausreichendem Umfang. Der Umkehrschluss gilt aber nicht, dass jeder besser Gebildete die ihm zugänglichen Informationen auch so aufnimmt, dass sie nicht nur zur Wissenserweiterung, sondern auch zu einer Verhaltensänderung führen.
iii. Analphabetismus ist oft unter Frauen verbreiteter als unter Männern. Entgegen den Trends in anderen Teilen der Welt bilden Frauen in Sub-Sahara-Afrika den größeren Anteil an HIV-Infizierten. (Auf 6 Frauen kommen 5 Männer.)

c. Aberglaube
In vielen afrikanischen Ländern hält sich der Glaube, dass das HI-Virus durch übernatürliche Kräfte übertragen wird. Hilfe wird dann dementsprechend auch eher bei sog. ‘witch doctors’ gesucht als in einem Gesundheitszentrum.

d. Genderproblematik
i. Frauen werden generell in der Rolle des untergeordneten Partners gesehen.
ii. In vielen Kulturen wird Frauen gelehrt, dass sie ihren Ehemännern gehorchen müssen und es kulturell nicht umsetzbar ist, Sex zu verweigern.
iii. In Sub-Sahara-Afrika sind 60 % der infizierten jungen Menschen Frauen (UNAIDS, 2004)

e. Mangelnde medizinische Versorgung
Eine mangelnde Versorgung führt bei AIDS-Kranken zur früheren Begleitinfektionen.
Speziell gefährdete Gruppen (Infektion, care): Kinder, Jugendliche, Frauen, ältere Menschen. Eine spezielle Gruppe stellen die AIDS-Waisen dar, die durch ihre Desintegration häufig dazu verurteilt sind, in dem beschriebenen Teufelskreis der Armut zu bleiben.

(2) Ein holistischer Ansatz berücksichtigt sowohl die präventive als auch die kurative Seite.

a. Bei der Prävention ist nochmals zu unterscheiden zwischen
· langfristigen Maßnahmen (Bekämpfung struktureller Ursachen (s.o.), Aufklärung und Erziehung
· und kurzfristigen Maßnahmen, wenn es darum geht, die unmittelbare Gefahr einer Ansteckung zu minimieren (vgl. z.B. ABC-Programme)

b. Bei der kurativen Seite geht es sowohl um die
· Möglichkeiten medizinischer Behandlung (Zugang zu Medikamenten) als auch um eine
· ganzheitliche Unterstützung der Erkrankten und ihrer Familien.

(3) Ein holistischer Ansatz berücksichtigt die pastorale Dimension und die Chancen kirchlicher Seelsorgestrukturen.

HIV/AIDS stellen für Kirche und ihre Seelsorge ganz neue Herausforderungen dar.
Seelsorge im Rahmen eines holistischen Ansatzes
a. berücksichtigt die umfassenden Bedürfnisse des Menschen, das heißt: geistlich-spirituelle, physische, psychologische, soziale und materielle.

b. berücksichtigt Infizierte und Kranke sowohl in ihren lokalen Gemeinschaften als auch in den Krankenhäusern.

c. berücksichtigt das soziale Umfeld des Kranken/Infizierten und zielt auf die Durchbrechen der Stigmatisierung der HIV-Infizierten und AIDS-Kranken („Der Infizierte ist selbst schuld an seiner Ansteckung.“ Folgen: physische und soziale Isolation von Familie, Freunden und Gemeinschaft)

d. schließt nicht nur die Kranken ein, sondern auch deren Familien, das medizinische Personal und den Klerus.

e. Ein eigenes Tätigkeitsfeld ist die ganzheitliche Betreuung der Sterbenden (zwischen Verzweiflung und Hoffnung), etwa in Hospizen. In manchen Gegenden Afrikas sind gerade junge Priester oft überfordert, wenn sich ihre Tätigkeit hauptsächlich auf diesen Problembereich erstreckt.
Sowohl bei der Analyse als auch bei der Prävention und in Bezug auf die kurativen Programme ist stets die sozio-kulturelle Dimension zu berücksichtigen, d.h. man muss um die Weltbilder, Wertvorstellungen und Verhaltensweisen der Menschen wissen, wenn man die Menschen wirklich einbeziehen will (ownership).

(4) Ein holistischer Ansatz berücksichtigt Kirche als zivilgesellschaftlichen Akteur

Wenn die Kirche ihre Tätigkeit im Bereich HIV/AIDS reflektiert, wird sie sich ihrer Rolle als gesellschaftlicher Akteur bewusst, der strukturell in die Gesellschaft eingebunden ist. Diese Rolle gilt es bewusst anzunehmen und zu gestalten.
Als zivilgesellschaftlicher Akteur spielt die Kirche eine wichtige Rolle in Bezug auf:
– Pastoral/innerkirchliche Aktivitäten
– Gesundheitssystem (health center etc.)
– Bildung und Erziehung
– Medien (Radio, Zeitungen, Zeitschriften …)
– Bürgerschaftliches/politisches Engagement

Hier liegen für die Kirche institutionelle Möglichkeiten in Bezug auf Prävention, Therapie, care und support. Dabei wird auch deutlich, dass immer eine Kombination notwendig ist von kurzfristigen Maßnahmen und direkter Hilfe (in allen Bereichen: Prävention, Therapie, support, care) und Anstößen/Begleitung zu langfristiger Verhaltensänderung. Das Problem HIV/AIDS wird dann auch nicht unsachgemäß auf die individualethische Fragestellung zu reduziert.
Die Kirche erreicht oft gesellschaftliche Bereiche, die von staatlichen Programmen nicht erreicht werden. Darüber hinaus ist für die kirchlichen Aktivitäten Networking und die Zusammenarbeit/Koordinierung mit anderen Programmen wichtig.

2 Motivation für diese Studie

Zu den Arbeitshypothesen dieser Studie gehören, dass in der Katholischen Kirche die vielfältigen Lernerfahrungen zu wirksamen Antworten auf HIV/AIDS noch zu wenig in die Bildung und Befähigung von Priestern, Ordensleuten und Laien Eingang gefunden haben. In einigen Bereichen können die Reflektionen in ethischen, moralischen und pastoralen Belangen noch vertieft werden. Sie müssen es in dem Maße, wie Gesundheitsforschung, gesellschaftliche Entwicklungen und Strategien außerhalb der Kirche neue Positionierungen erforderlich machen.

2.1 Notwendige theologische Antworten

Dimensionen einer theologischen Reflexion der Situation betreffen verschiedene Aspekte, und zwar sowohl individuell existentielle als auch strukturelle.
Individuell existentiell sieht sich die christliche Theologie herausgefordert, angesichts von HIV/AIDS vertieft über Krankheit/Gesundheit/Heilung/Sterben zu reflektieren. Dabei dürfen aber nicht die Strukturfragen außer Blick geraten, die die Verbreitung und den Umgang mit den Gefahren der HIV-Infektion, den HIV-Infizierten und AIDS-Kranken betreffen. Im Rahmen einer angemessenen theologisch-ethischen Reflexion muss deshalb der Zusammenhang von Strukturfragen (Vulnerabilitäat von Armut und weiteren Faktoren, Arbeitsmigration, Rolle der Frau), kulturelle Faktoren (Stigmatisierung und Diskriminierung) mit individualethischen Fragen (Gewissensbildung, Umgang mit Sexualität, individuelle Verantwortung etc.) reflektiert werden. Einzelaspekte betreffen die ethische Qualität der Methoden des Infektionsschutzes sowie die Situation diskordanter Paare.
Neben der theologisch-ethischen Reflexion sollen HIV/AIDS als Aufgabe und Herausforderungen für die Kirche und ihr pastorales Handeln als ganze diskutiert werden. Hier spielen pastoraltheologische, aber auch ekklesiologische und theologisch-anthropologische Fragen eine Rolle.
Die theologische Reflexion im Rahmen der Studie betrifft deshalb a) theologisch-ethische Fragen (sozialethisch, individualethisch) und b) pastoraltheologische und ekklesiologische Fragen. Dabei ist ebenso wie bei der Auswertung des empirischen Teils der Studie der Diskurs mit Theologen und kirchlich Verantwortlichen vor Ort unverzichtbarer und elementarer Bestandteil des vorgelegten Projekts.

2.2 Ziele der Studie

Beitrag zur Dokumentation der kirchlichen Antworten auf HIV/AIDS, ihre Entwicklung, theologische Reflektionen, Beschreibung von Wirkungen, Ausblick auf zukünftige Notwendigkeiten der kirchlichen Antwort auf HIV/AIDS. Mögliches Anschlussprojekt: Studienkonzept für pastorale Mitarbeiter (Anregung des Bischofs von Adigrat, Äthiopien).

2.3 Leitfragen

Inwieweit stellt die kirchliche Arbeit einen Beitrag zu strukturellen Lösungen dar (Prävention, Therapie, Versorgung). Wo sind die Stärken bzw. Schwächen des kirchlichen Engagements im Kontext von Möglichkeiten und Widrigkeiten. Welche Hilfestellungen brauchen Kirche und kirchliche Institutionen mit Blick auf ihr (insbesondere seelsorgliches) Personal.

3 Methodik

Ein genaue Dokumentation und Beschreibung der Antworten der Katholischen Kirche in Afrika seit Beginn der Epidemie sprengt den Rahmen einer machbaren Forschung. Die Studie muss sich methodisch auf die Untersuchung von exemplarischen Fällen beschränken. Das Missionsärztliche Institut, die katholische Fachstelle für Internationale Gesundheit und HIV/AIDS, wurde gebeten, einen Kriterienkatalog zur Auswahl geeigneter Zielregionen für die Studie zu entwickeln (s. Anhang)11. Die eingerichtete Arbeitsgruppe verständigte sich auf das Zielland Äthiopien und auf die Zielregion Südmalawi und angrenzende Diözesen in Sambia. HIV/AIDS relevante Daten sind ebenfalls im Anhang dokumentiert.
Wesentlich für die Studie ist die Kooperation mit afrikanischen Partner vor Ort, sowohl in der Phase der Datenerhebung, als auch der Auswertung. Vor der Publikation der Forschungsergebnisse wird eine Konferenz aller Beteiligten in Afrika organisiert werden. Das Team soll sich als interdisziplinäres und internationales Team zusammensetzen aus theologischen Fachleuten und Public Health Spezialisten aus folgenden Institutionen: Missionsärztliches Institut, Missio Aachen, Institut für Weltkirche und Mission, Frankfurt, Fachleuten aus der Ortskirche

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