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Theologie von den Rändern.

Migration und Gastfreundschaft

Die Katholisch-Theologische Fakultät und das Institut für Fort- und Weiterbildung der Diözese Rottenburg-Stuttgart hatten für den 28. Oktober 2015 unter dem Titel „Theologie von den Rändern. Migration und Gastfreundschaft“ zu einem Studientag ans Theologicum nach Tübingen eingeladen.
Theologie von den Rändern © TK
Dem Studientag war am 27. Oktober ein gleichnamiges Seminar der Katholisch-Theologischen Fakultät in englischer Sprache („Theology from the Margins. Migration and Hospitality“) vorausgegangen. Dabei stellten drei Doktoranden und eine Doktorandin ihre Arbeiten vor, die jeweils im Anschluss unter der Leitung von Dr. Susanna Snyder (Roehampton) und Prof. Daniel Groody (Notre Dame University) diskutiert wurden. Angesichts der Spannbreite der vorgestellten Themen und Ansätze stellte sich vor allem die Frage nach einer Hermeneutik, die in der Lage sein sollte, das biblische Zeugnis und die Tradition mit den drängenden Fragen unserer Zeit angemessen und überzeugend in Verbindung zu setzen. Auch der Rekurs der Theologie auf die Sozialwissenschaften sowie das Problem einer geeigneten empirischen Herangehensweise wurden in diesem Zusammenhang thematisiert. Die überschaubare Teilnehmerzahl ermöglichte einen intensiven gegenseitigen Austausch, von dem alle Anwesenden profitierten.
Seminar: Theology from the Margins © TK
Zum Studientag am 28. Oktober versammelte sich eine große Zahl an Teilnehmern, die die Aula des Theologicums weitgehend füllten. Neben den Studierenden und interessierten Dozentinnen und Dozenten war eine ansehnliche Gruppe pastoraler Mitarbeiter der Einladung nach Tübingen gefolgt. Passend zum Titel der Veranstaltung, wurde der Studientag mit kurzen Bibelpassagen eröffnet, die von DozentInnen und Studierenden von den Rändern der Aula her gelesen wurden (vgl. Foto).

Auf die anschließenden Grußworte folgte ein Vortrag von Prof. Dr. Hans-Joachim Sander (Salzburg) zum Thema „Wenn sich Grenzen ins Leben ein schreiben und Gott dort zu identifizieren ist – eine Topologie der Ränder für Glauben, Kirche und Theologie“. Unter Bezug auf Melchior Canos „loci-Lehre“ plädierte Sander für eine Theologie, die ihren Ausgangspunkt bei den sogenannten „loci alieni“ – im Gegensatz zu den „loci proprii“ – nimmt. Dies sei jedoch kein einfaches Unterfangen, da die katholische Kirche eine Vorliebe für Zentren aller Art hege. Hier zeige sich ein Habitus der Einladung, welcher der Bewegung des Auf-den-anderen-Zugehens entgegenstünde. Anhand des Grußes „Buonasera“ des Papstes auf dem Petersplatz direkt nach seiner Wahl sowie an dessen Bitte um das Gebet der Gläubigen vor der Erteilung des apostolischen Segens veranschaulichte der Vortragende demgegenüber, wie es auch vom Zentrum aus möglich sei, dieses sprachlich zu verlassen um die Peripherie einzuholen. Ebenfalls aus sprachlicher Sicht gelinge dieser Ortswechsel zum einen anhand der Metapher, besser aber noch mit Hilfe der Metonymie, d.h. anhand einer rhetorischen Stilfigur, die den Ortswechsel sprachlich vollzieht, indem sie auf Uneigentlichkeit setzt. Mit dem Gruß „Buonasera“ verließ Franziskus sozusagen den Habitus eines Papstes und seiner sprachlicher Äußerungen, um sich für die Habiti der Allgemeinheit und somit auch der Ränder zu öffnen.

Die aktuelle Flüchtlingsdebatte griff Sander unter dem Stichwort der „Un-Möglichkeit“* auf. Die deutsche Kanzlerin könne Recht behalten mit ihrem Statement „Wir schaffen das“, allerdings unter einer Bedingung: dass wir die Grenzen des Möglichen verlassen, so wie die Flüchtlinge selbst dies ständig täten. Sie haben unmögliche Grenzen auf un-mögliche Weise überwunden – viele scheiterten bei diesem Versuch, so dass sich das Un-Mögliche für sie tatsächlich als unmöglich erwies. Vielen anderen aber gelang und gelingt dieses Un-Mögliche, und dies auch und gerade dadurch, dass sie sich ganz auf ihren Gott verlassen – egal, welcher Religion sie im einzelnen angehören. Indem sie das Unmögliche möglich machen, fordern sie die Gesellschaft der scheinbar unbegrenzten Möglichkeiten und noch mehr die Kirche, die ja das Unmögliche predigt, heraus. Eine angemessene Antwort auf den Zustrom der Flüchtlinge sei somit nur möglich, wenn sich Gesellschaft und Kirche gleichermaßen auf das Un-Mögliche einlassen – das Risiko des Scheiterns inbegriffen.

* NB: die Ausführungen zum Stichwort des Un-Möglichen versuchen dem Sinn der Ausführungen von Hans-Joachim Sander gerecht zu werden, wobei ich hier eine eigene Sprache verwende und die Impulse des Referenten eher frei aufgreife und weiterdenke. Für weitere Details vgl. den Beitrag im Theologischen Feuilleton.

 

Der anschließende Vortrag von Dr. Muna Tatari beschäftigte sich mit dem Thema der Theologie von den Rändern aus der Sicht der muslimischen Theologie in Deutschland. Diese stehe vor zahlreichen Herausforderungen und müsse angesichts der Fülle an Erwartungen von außen zu einer Eigenständigkeit finden – nicht zuletzt mit Blick auf das Verständnis von Wissenschaft und Epistemologie. Weitere Herausforderungen bestünden etwa im Phänomen der Säkularisierung oder der Frage der Gendergerechtigkeit.

Im Konzert der muslimischen Theologien sei die Theologie des Islam in Deutschland bereits als solche eine Theologie von den Rändern. Allerdings trage die Auseinandersetzung mit den anderen Theologien und den Wissenschaften dazu bei, eine eigene Methode zu entwickeln, die im Erfolgsfall innerhalb des Islam wiederum zu interessanten Anregungen führen könne.

Ein weiterer Fokus der Referentin lag auf einer muslimischen Theologie der Befreiung, die ihren Ausgang darin nimmt, dass – in Ähnlichkeit zum christlichen Gottesbild – auch Allah auf der Seite der Armen stehe.

Insgesamt gesehen gelte es, der sich im entstehen befindenden islamischen Theologie in Deutschland einen Raum der Sicherheit und des Wachstums zu ermöglichen. Dieses Postulat ist jedoch schon deshalb schwierig zu verwirklichen, weil die muslimische Theologie durch die Einführung des islamischen Religionsunterrichts an den Schulen enorm gefordert ist, insbesondere vor dem Hintergrund der verschiedenen in Deutschland vertreteten Gruppierungen.

 

Das Nachmittagsprogramm wurde durch verschiedene Workshops eingeleitet, die sich mit Flucht, Arbeitsmigration, der Situation von Muslimen in Deutschland und Interkulturaliltät beschäftigten.

Auf die anschließende Kaffeepause folgte ein Vortrag von Dr. Susanna Snyder in englischer Sprache unter dem Titel „Inhabiting the Border: Margins, Migration and Theology“. Die Referentin ging zunächst auf die verschiedenen Ängste ein, die in Zusammenhang mit Migrationen auf Seiten der Bevölkerungen der Gastländer entstehen. In einem weiteren Schritt ihrer Ausführungen fokussierte die Theologin die Situation der Migrantinnen und Migranten unter dem Slogan „migrants cross borders and borders cross migrants“. Damit legte sie den Akzent auf den Umstand, dass das Leben der Zuwanderer, ob diese es wollen oder nicht, stets unter dem Zeichen von Grenzziehungen steht und sie die Frage der eigenen Identität ständig neu aushandeln müssen.

Dr. Susanna Snyder © TK
Schließlich benannte Snyder die verschiedenen Grenzen, denen sich Theologinnen und Theologen gegenüber sehen: Die Grenze zwischen Wissen und Nicht-Wissen, Experties und Ignoranz; die Grenze zwischen Theologie und Sozialwissenschaften, sowie zwischen Theologie und Engagement. Dass Kirche und Theologie im Grunde nicht anders können, als sich an der Grenze zu verorten, hat seinen tiefsten Grund darin, dass Gott selbst sich als Grenzgänger offenbart. Dabei gilt es, sich den Grenzen zu stellen ohne sie zu verherrlichen: Grenzen sind häufig brutale Orte des Todes, aber auch Orte des Lebens. Last not least gilt es in einer Theologie von den Rändern, stets die Grenzen der Theologie als solche im Blick zu behalten. Damit ist gemeint, dass jede Theologie vorläufig ist, da Gott sich jeglicher Vereinnahmung entzieht.

Betrachtet man die Tagung im Rückblick, dann gewinnt man den Eindruck, dass die „Theologie von den Rändern“ für viele der Anwesenden noch ein neues Thema zu sein scheint. Die streckenweise recht abstrakte Sprache mag für manchen Nicht-Theologen zudem befremdlich gewirkt haben. Bezeichnend in diesem Sinn waren besonders zwei Wortmeldungen im Rahmen einer kurzen Feedbackrunde am Ende der Tagung. Eine Jurastudentin zeigte sich enttäuscht in Bezug auf die fehlenden Konkretionen der Theologie, die im Vergleich mit der Rechtswissenschaft zwar regelmäßig an der Aktualisierung der Interpretation der Heiligen Schrift arbeite, letztlich aber um sich selbst kreise und nichts bewege. Eine weitere Studentin meinte, die Unterscheidung zwischen Zentrum und Rändern berge auch Gefahren. So sei ja durchaus denkbar, dass jene, die wir in unseren Vorstellungen am Rand verorten, sich selbst zum Zentrum zählten.

Persönlich konnte ich von Workshop und Tagung gut profitieren und hoffe auf weitere Veranstaltungen in dieser Richtung.

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    Tobias Keßler

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