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„Aber zählen heute noch Worte?“

Missionsverständnis nach Papst Franziskus im Lichte des neuen Films von Wim Wenders

Was macht für mich als Pastoraltheologin diesen Film besonders? In einem Wort, das, worum es hier eigentlich geht: die praktischen Konsequenzen unseres Glaubens. Nein, im Mittelpunkt steht hier nicht der Papst, als Stellvertreter Christi, sondern im Mittelpunkt steht das Leben in Fülle, ein gutes Leben als grundlegendes Recht aller auf dieser Erde. Es ist eine gelungene Darstellung eines Durchbruchs, die für kirchliche Amtsträger, für Staatsmänner und -frauen oder aber auch für die ganz „normalen“ Menschen – wenn sie glaubwürdig bleiben wollen – grundlegend wäre: die Abwendung von einem Personenkult hin zu den Fragen des Lebens, die wir alle zu be-antworten, die wir alle zu ver-antworten haben. Diese Fragen des Lebens heute stehen im Film im Vordergrund, all das, wofür Franziskus als Person in voller Macht seines Amtes steht oder genauer gesagt geht. Es sei hier nur am Rande bemerkt, dass ich unter der kommunistischen Diktatur von Ceaușescu aufgewachsen bin und aus dieser Erfahrung heraus wage ich zu behaupten, dass ich ein gutes Gespür dafür habe, wenn es in der Kirche, im Alltag um Personenkult geht und die Worte eines Mannes/einer Frau allein der eigenen Selbstdarstellung dienen. Da könnten auch wir als TheologInnen auch viel vom Papst lernen.
Der Film hat positive wie auch negative Kritik erhalten. Einer der schärfsten Kommentare, die ich gelesen habe, ist die von Alexander Kissler auf der Seite des CICEROs. Dort schreibt er, der Papst führe einen Dauermonolog. Diesen Eindruck hatte ich gerade aufgrund der vorher genannten Darstellung und des Inhalts nicht. Meines Erachtens bleibt Franziskus anhaltend im Dialog: im Dialog mit der Welt, im Dialog mit der Menschheit und das auf verschiedenste Art und Weise: durch Berührung, durch Humor, durch das Zuhören, und nicht zuletzt durch seine klaren Worte als Antwort auf die Fragen unserer Zeit, die die ganze Menschheit hautnah betreffen. Sein „Dauermonolog“ wird auch immer wieder durch ausdrucksstarke Szenen unterbrochen. Diese Szenen thematisieren die Wunden der Welt, die er auf seinen Reisen sieht und die Zuschauer begleiten ihn auf diesen apostolischen Reisen in der Weltkirche:

 

  1. Man ist mit dabei in Zentralafrika, in Bangui, bei seinem Besuch in einem Kinderkrankenhaus. Das Leid des Menschen, der Kinder, wird hier sehr deutlich dargestellt. Der Papst berührt die Leidenden, segnet und betet für sie. Er vergegenwärtigt die Liebe Gottes für die Menschen, für die Kleinen, denen er begegnet. Er bleibt im Dialog mit den Zuschauern und geht die Frage an, die sich viele stellen: warum müssen so viele Kinder leiden? Er nimmt Stellung zur für viele so schwierigen Theodizee-Frage und reagiert theologisch exzellent, jedoch auf eine ganz verständliche Art und Weise: er erinnert uns an das Leid des Gottessohnes, in das der Vater nicht eingegriffen hat, sondern die Freiheit des Menschen (zu lieben oder zu hassen, heilen oder mehr Leid einem hinzuzufügen) ganz respektiert hat. Er macht dann nochmal deutlich – vielleicht auch für die, denen der Sohn Gottes nicht vertraut ist, wie wichtig die Freiheit des Menschen für den Schöpfer ist, seine freie Entscheidung, zu lieben, ist Gott so viel wert, dass er sogar in Kauf nimmt, dass dieser Mensch auch einen bösen Weg gehen kann, einen Weg, auf dem viel Leid den Mitmenschen zugefügt werden kann. Der Mensch kann frei entscheiden, ob er liebt oder hasst, aber entscheiden muss er können, frei. Theologisch gesehen ist dies gerade das Argument der Willensfreiheit (free will defense), demütig erklärt. Nicht belehrend und nicht moralisierend. Vermittelt wird es auf eine Art und Weise, die nachdenklich macht und den einen oder den anderen auch dazu animiert, sich zu fragen: wo habe ich zuletzt jemandem unnötiges Leid zugefügt?
  2. Man ist mit dabei in Asien, auf den Philippinen, in Tacloban. Am Flughafen sehen wir ihn bei den Menschen, bei den Opfern des Taifuns Haiyan: „Ich bin hier, um bei Euch zu sein.“ Still, weil er nichts sagen kann, da kann jedes Wort zu viel werden. Doch die Ermutigung aus dem stillen Mitgefühl kann nicht übersehen werden: „Gemeinsam, wie Brüder und Schwester nach vorne schauen“. Ist es nicht, theologisch gesprochen, die Orthopraxis, in der es primär nicht um das Affektive geht, sondern um heilende Taten, wodurch die Liebe Gottes zu den Menschen vergegenwärtigt wird? Das Affektive, im Sinne von Orthopathos wird nicht angepeilt, aber es ist in der missionarischen Praxis des Papstes eine wichtige Komponente, die nicht fehlen darf: sie ist ein Indikator der „rechten Praxis“, und als solche stellt sie sich einfach ein: bei den Menschen, denen er begegnet, und bei den Zuschauern, die ihn auf der Leinwand erleben.
  3. Man ist mit dabei in Südamerika, in Rio de Janiero, im Armenviertel Varginha. Auf dem Kontinent ist er eine alte, gut bekannte Stimme für ein gutes Leben der Menschen hier. Er ermutigt die Menschen zur Gastfreundschaft, andere aufzunehmen, solidarisch zu sein, als einziges Heilsmittel gegen Ausgrenzung, gegen die Mentalität des Wegwerfens, wovor das Herz des Menschen behütet werden soll. „Man kann die Suppe immer mit Wasser verlängern“ – erinnert er heiter an ein hiesiges Sprichwort und deutet damit darauf hin, die Gastfreundschaft und das Miteinander als wahren Reichtum des Herzens erblühen zu lassen. Dann erblicken wir mit Franziskus beim Vorbeifahren in der Menschenmenge eine ihm bekannte Ordensschwester. Franziskus hält außerplanmäßig an, geht auf die Schwester zu, umarmt sie ganz innig und segnet sie. Die Schwester ist dann auch die einzige, die in Wenders Kamera außer Franziskus noch spricht. Ihre Botschaft ist, dass es zwar schade ist, dass Franziskus nun weit weg von seiner Ortskirche ist, aber er habe eine „höhere“ Mission, er müsse jetzt die ganze Menschheit ansprechen, die ganze Welt brauche ihn.
  4. In den Vereinigten Staaten spricht er vor dem US-Kongress in Washington in einer Sprache, die er nicht sehr gut beherrscht, aber er ist klar und eindeutig. Bei seiner historischen Rede – er ist der erste „religiöse Führer“ der hier zu Wort kommt – bleiben die Augen der Abgeordneten und Senatoren nicht trocken. Auch manche Zuschauer mussten hier schnell zum Taschentuch greifen. Sein Thema sind die Flüchtlinge. Er appelliert an die Erfahrung des Kontinents mit Flüchtlingen: “We, the people of this continent, are not fearful of foreigners, because most of us were once foreigners. I say this to you as the son of immigrants, knowing that so many of you are also descended from immigrants. […] Our world is facing a refugee crisis of a magnitude not seen since the Second World War. This presents us with great challenges and many hard decisions. On this continent, too, thousands of persons are led to travel north in search of a better life for themselves and for their loved ones, in search of greater opportunities. Is this not what we want for our own children? We must not be taken aback by their numbers, but rather view them as persons, seeing their faces and listening to their stories, trying to respond as best as we can to their situation. To respond in a way which is always humane, just and fraternal. We need to avoid a common temptation nowadays: to discard whatever proves troublesome. Let us remember the Golden Rule: »Do unto others as you would have them do unto you« (Mt 7:12).” Auch dürfen wir ihn nach Lampedusa begleiten und ihm zuhören wie er am Rand des mittlerweile größten Friedhofs der Welt den überlebenden Mut und Hoffnung schenkt. Er holt den Menschen dort ab, wo sie gerade in ihren Gedanken sind: er spricht den Schmerz an, den man spürt, wenn alles zurückgelassen werden muss. Er spricht den Mut und die Hoffnung an, die einen voranbringen und ermutigt die Flüchtlinge dazu, diese nicht aufzugeben. Es ist ein Paradebeispiel für eine mystagogische kirchliche Praxis, die konsequent dabeibleibt, dass das Leben aufkommt und das Leben das letzte Wort hat, wie wir das auch aus dem Christusgeheimnis gelernt haben.

Ein Verzeichnis von anderen großen Themen des Papstes als Hauptdarsteller, kann hier kurz und leicht zusammengestellt werden, weil die fragenden Szenen und die Antworten des Papstes darauf im Film so klar und einfach sind, dass sie hängen bleiben und mich als Zuschauerin zum Beispiel auch weiter beschäftigen:

 

  • Arbeit: Recht des Menschen. Gehört dazu, um würdevoll als Mensch zu leben. In der Arbeit artikuliert sich das schöpferische im Menschen.
  • Armut: wir können alle ein bisschen ärmer werden.
  • Dialog mit anderen Religionen: im Gespräch bleiben, ohne einander bekehren zu wollen.
  • Dialog mit den Muslimen: wir sind Brüder nach Abraham, ob es uns gefällt oder nicht, wir sind Brüder.
  • Familie und Kinder: „Spielen Sie mit ihren Kindern?“ – Grundlegende Frage für alle Väter und Mütter. Einfach mit den Kindern Zeit vergeuden.
  • Humor: dafür betet er jeden Morgen mit den Worten des Thomas Morus: „Schenke mir eine gute Verdauung, Herr, und auch etwas zum Verdauen.“
  • Kindesmissbrauch: Null Toleranz. Die Schuldigen müssen vor das Zivilgericht treten.
  • Klimawandel: das geht uns alle an. Harmonie der Schöpfung zu fördern, und stattdessen nicht die Ausbeutung der Erde fortzusetzen.
  • Krankheiten der Kurie: existentielle Schizophrenie und spirituelles Alzheimer.
  • Liebe Gottes: Gott sieht uns alle mit seinem Herzen und liebt alle auf dieser Erde mit der gleichen Liebe. Niemand wird mehr oder weniger geliebt.
  • Macht: ohne Demut ist sie gefährlich. Je mehr Macht jemand hat, desto mehr Demut muss aufgebracht werden.
  • Mauer: wie sehr Mauern trennen, das hat uns das letzte Jahrhundert gezeigt. Wir haben den Auftrag, Brücken zu bauen.
  • Reichtum als Versuchung der Kirche: in einer Kirche, die auf Reichtum setzt, ist Jesus nicht zu Hause.
  • Schönheit des Lebens: Tag der Ruhe, nicht immer nur auf das Gaspedal treten.
  • Schuld und Sünde: der erste Heilige war ein Verbrecher, dem Jesus am Kreuz versprach: „Ich sage dir, du wirst noch heute mit mir im Paradies sein“ (Lukas 23, 42-43).
  • Schwulenlobby/Homosexuelle: integrieren, wer bin ich, dass ich sie verurteile?
  • Umgang mit Differenzen: mit Geduld. Differenz verspricht aber Wachstum. In Gleichschaltung kann man nicht wachsen. Wachsen zu können braucht Zeit.
  • Umgang mit eigener Vergänglichkeit: sich zu versöhnen mit der eigenen Sterblichkeit ist ein Zeugnis von Weisheit.
  • Wissenschaft: die Kirche muss die Errungenschaften der Wissenschaft so unterstützen, dass diese immer mehr ein Leben in Fülle den Menschen ermöglichen. Der Mensch ist bis zum Mond gegangen, und oft fällt es uns schwer die Armut in der Nachbarschaft zu sehen.
  • Zukunft: heißt für uns Christen, Hoffnung. Nach vorne schauen und nicht in der Vergangenheit verstrickt bleiben.

„Aber zählen heute noch Worte?“ – fragt Wim Wenders plötzlich im Film. Seine Antwort darauf ist ja, wenn Worte und Taten im Einklang sind. Theologisch gedeutet muss das Wort auch zählen. Es geht nämlich um das Wort, das Fleisch geworden ist, worüber wir Christen zu behaupten mögen, dass wir dieses Wort verinnerlichen, das es „unser werden kann“, indem wir es erfahren (in der Mystik) und das wir in der Welt zu verkünden haben (Politik). Der Titel des Filmes „Ein Mann seines Wortes“ hat für mich also aus diesem Hintergrund auch eine tiefe theologische Bedeutung, der für das integrale Missionsverständnis als Alpha und Omega einer Kirche in der Liebesdynamik stehen könnte. Als maßgebend für die kirchliche Praxis stellt Papst Franziskus in seinen Ansprachen, Enzykliken, lehramtlichen Texten – so wie wir ihn seit 2013 kennen – oft die Logik der Inkarnation heraus; die Aufgabe der Praxis ist es, den Logos in und durch die kirchliche Praxis zur Sprache zu bringen. Nur, wenn die kirchliche Praxis einer solchen Logik der Inkarnation folgt, ist sie in der Lage, die Kirche gleichsam aus sich selbst herauszuführen. Der Logik der Inkarnation folgend geht die Kirche also sozusagen auf Mission, d.h., aus sich heraus und auf den Menschen zu, wobei „auf Mission gehen“ dann nicht mehr geografisch, sondern existenziell verstanden wird: hin zu den Armen, zu den Verwundeten, ganz dem Vorbild Christi folgend. Die missio ad gentes entwickelt sich zu einer missio ad vulnera die zugleich eine missio in misericordia ist. Diese ist auf existenzielle Art und Weise konstitutiv für die Kirche und heilend für den Menschen. Diese Theologie des Papstes wird auch im Film deutlich.
Aus diesem Hintergrund heraus finde ich als Theologin den Film mit Papst Franziskus sehr gelungen. Nach dem Film habe ich mich an die Worte meiner Mutter erinnern müssen. Als ich sie vor Jahren gefragt habe, was denn die Kirche im Kommunismus für sie bedeutete, hat sie mir geantwortet: „Von der Welt damals haben wir nicht viel erfahren können. Wir waren versperrt von dem, was in der Welt wirklich passiert, wie die Welt über den Eisernen Vorhang hinaus tatsächlich aussieht, über die Lügen hinaus, womit wir tagtäglich gefüttert wurden. Der Pfarrer hat uns von der Welt erzählt, darüber, was in der Welt passiert. Die Kirche war für uns ein Fenster, durch das wir in die Welt hineinblicken konnten, so wie sie ist, mit allen Licht- und Schattenseiten.“ Ich habe das damals für mich so formuliert: Kirche war also damals quasi eine Übersetzerin, hat den Menschen dabei geholfen, die Welt in ihrer Komplexität zu verstehen, kennenzulernen. Da dachte ich, diese Rolle kann die Kirche heute nicht mehr auf sich nehmen. Es passiert so vieles in dieser Hinsicht in der Welt. Braucht denn die Kirche heute noch eine Übersetzerin zu sein? Seitdem ich den Film von Wim Wenders gesehen habe, denke ich, ja, es könnte gut funktionieren, unter einer Voraussetzung: im aufmerksamen Zuhören und mit einem offenen Herzen für den Menschen und für die ganze Menschheit, ganz nach der Logik des Wortes, das – so wie wir es glauben – zählt.

 

Quelle:

Papstreden wort-wörtlich zitiert nach: https://w2.vatican.va/content/francesco/de/travels.index.html

  • t

    Klara A. Csiszar

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