Wie lässt sich christliche Verkündigung mitten im Bürgerkrieg gestalten?

10. Februar 2014

Was machen katholische Missionare im Südsudan heute? Was sind Schwerpunkte ihrer Arbeit und wo erkennen sie Zeichen der Hoffnung? Der aus Berlin stammende Comboni-Missionar Pater Gregor Schmidt erzählt im folgenden Interview über die Missionsarbeit bei den Nuer. Er lebt seit März 2009 im Südsudan und ist Priester in der Pfarrei Old Fangak (Diözese Malakal, im Nodern des Landes). Am 08. Januar 2014 beschrieb P. Schmidt die aktuelle Konfliktsituation im Südsudan (siehe Rundbrief). Neulich berichtete er über die Entwicklung des Konfliktes wie folgt: „Der Präsident Salva Kiir und sein Rivale Riek Machar haben anscheinend ihre Familien im Ausland in Sicherheit gebracht – sterben tun immer nur die einfachen Leute, z.B. wer kein Geld für die Fähre hat und deshalb nicht auf die sichere Seite vom Nil gelangt. Am Freitag wurde ein Waffenstillstand vereinbart, der aber letztlich nicht unterschrieben wurde. In Fangak County werden jetzt junge Männer für den Rebellenkampf geworben. Da man hier auf die Statur schaut – Alter ist nicht von Belang oder sogar unbekannt – haben wir es teilweise mit Kindersoldaten zu tun. Die Zahl der Flüchtlinge liegt schon bei einer halben Million, die Zahl der Toten bei über 10 000. Die Aussicht ist düster (…)“.

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1) Was bedeutet es, in einem Gebiet wie dem Südsudan als katholischer Missionar zu arbeiten und dort das Evangelium zu verkündigen? 

Es gibt heute im Südsudan ein großes Interesse an Jesus Christus und am Wort Gottes. Während es in der Kolonialzeit kaum Christen gab, begann der christliche Glaube im Bürgerkrieg gegen die arabische Regierung des ungeteilten Sudan identitätsstiftend zu werden. Das war im Besonderen die Exodus-Erzählung, in der Gott sich des unterdrückten Volkes annimmt und es befreit, und der menschgewordene Gott, der ein Herz für die Marginalisierten der Gesellschaft hat. Viele Schwarze des Südens (als der Sudan noch ungeteilt war) flüchteten im ersten Bürgerkrieg in die Hauptstadt Karthum oder in umliegende Länder wie Äthiopien, Kenia und Uganda, wo sie das Evangelium kennen lernten. Nach dem vorläufigen Waffenstillstand in 1972 kehrten viele nach Hause und verbreiteten den Glauben. In den 70er und 80er Jahren entschlossen sich Millionen von Südsudanesen, Christen zu werden. Heute sind ca. 70% der etwa 11 Millionen Einwohner Mitglied einer Kirche (davon die Hälfte katholisch). So ein Wachstum des Christentums hat es im 20. Jahrhundert sonst nur in Südkorea gegeben. Ein Faktor war, dass das Christentum als Welt- und Buchreligion eher die Kraft hatte, dem verhassten Islam Widerstand zu leisten, als die traditionelle Religion das konnte. Aber es war sicher auch das Lebensvorbild von katholischen und protestantischen Missionaren, die vom Schicksal der Menschen betroffen waren und unter Einsatz ihres Lebens sich für die Würde und Rechte der schwarzen Bevölkerung in einem rassistischen Staat eingesetzt haben.

Wenn wir den gesamten Sudan in Blick nehmen, ist das Christentum übrigens keine neue Religion, sondern vielmehr ein zweites Mal angenommen worden. Im Neuen Testament wird von einem Hofbeamten der Königin Kandake berichtet, der zum Glauben an Jesus findet. Zwar übersetzen deutsche Bibeln das Herkunftsland meistens mit Äthiopien. Die Königin Kandake stammte aber aus dem Sudan, dem Reich der Meroe. Außerdem benutzten Äthiopier im Gegensatz zu Sudanesen bei ihrer Rückkehr nicht die Straße nach Gaza – dort findet die Begegnung mit dem Afrikaner statt (Apg 8:26) – sondern wanderten in einer anderen Richtung über die arabische Halbinsel in ihre Heimat. Mit Äthiopiern wurden im allgemeinen Sinn die dunkelhäutigen Menschen südlich von Ägypten bezeichnet. Einer der ersten nicht-jüdischen Christen wäre demnach ein Sudanese! Vor der Verbreitung des Islam in Afrika gab es mehrere christliche Königreiche im Sudan; dem islamischen Druck hielt in dieser Region letztlich nur das äthiopische Reich stand. Vor diesem geschichtlichen Hintergrund ist es für mich eine große Freude, im Südsudan zu arbeiten.

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2) Wie sieht Ihre Arbeit konkret aus?

Wir sind vier Comboni-Missionare, denen die Pfarrei Old Fangak zugeteilt worden ist, um die katholischen Nuer im Bundesstaat Jonglei zu begleiten. Das ist eine von nur zwei Pfarreien in diesem Bundesstaat. Das offizielle Pfarrgebiet ist ungefähr so groß ist wie Nordrhein-Westfahlen. Dort leben ca. 15 000 Katholiken in gut 40 Kapellen. Im Osten erstreckt sich – kirchlich gesehen – ein Niemandsland bis nach Äthiopien von der selben Größe wie unsere Pfarrei. Dort leben einige Katholiken, die wir nach dem Willen des Bischofs wenigstens ein Mal im Jahr treffen sollen. 

Unsere erste Aufgabe ist es, die Glaubensgemeinschaft in den Kapellen zu stärken. Desweiteren geben wir Zeugnis von Jesus in einem nicht-christlichen Kontext. Weil Old Fangak nicht an das Straßennetz angebunden ist, können die meisten Kapellen nur zu Fuß erreicht werden. Durch unsere Pfarrei schlängelt sich jedoch ein Seitenarm des Nil, an dem einige Kapellen liegen und über den wir auch den Bischofssitz unserer Diözese, die Provinzhauptstadt Malakal, erreichen können. Die 120 km Bootsfahrt dauert aber 2 Tage. Ein wichtiger Teil unserer Jahresplanung besteht darin, alle Kapellen 2-3 Mal pro Jahr zu besuchen (und ein Mal im Jahr ins „Niemandsland“ gen Osten zu reisen). Wegen der großen Entfernungen ist ein Missionar in der Regel in einer Region drei Wochen oder einen Monat unterwegs und geht von Dorf zu Dorf. Weil wir zur Zeit vier Missionare sind, ist der Kontakt mit den meisten Kapellen recht intensiv. 

Der Leiter einer Kapelle wird hier „Katechist“ genannt und hat praktisch die Position eines Pfarrers vor Ort. Zwei Mal im Jahr, immer im März und September, laden wir alle Katechisten zur Fortbildung nach Old Fangak ein. Dort helfen wir, die Bibel und den Katechismus besser zu verstehen. Wir unterrichten aber auch English und Mathematik, weil keiner von ihnen die Grundschule beendet hat.

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Die Jugendgruppenleiter werden von uns auch zwei oder drei Mal im Jahr eingeladen. Neben biblischen Themen geht es um Fragen zu Gerechtigkeit und Frieden, Menschenrechten und das Leben in einem modernen Staat. Die jungen Menschen haben keine Vorstellung, was es bedeutet Staatsbürger zu sein. Sie haben in der Regel keine Geburtsurkunde und keinen Ausweis. Der Staat ist bisher eine abstrakte Größe. In unserem County gibt es für ca. 100 000 Einwohner nur drei halbwegs funktionierende staatliche Grundschulen; eine davon in Old Fangak. Das örtliche Krankenhaus steht unter US-amerikanischer Trägerschaft. Infrastrukturprojekte wurden bisher nicht umgesetzt. Solange Menschen auf dem Land bleiben, leben die meisten so, als ob es den Staat und die Regierung nicht gäbe. Aber heutzutage ziehen viele in die Städte. Das bringt oft Verwirrung, und daher sprechen wir mit unseren Jugendlichen über solche Themen.

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Um die Bildungssituation zu verbessern, unterstützen wir Dörfer, die das Unterrichten ihrer Kinder selber in die Hand nehmen. Zurzeit funktioniert das leider nur an zwei Orten. Zwei meiner Mitbrüder unterrichten die höheren Klassen in Old Fangak (5.-8. Kl.), weil die Lehrer nicht dafür ausgebildet sind. Viele haben die Grundschule nicht beendet und sich ihr Zeugnis gekauft, um eine Anstellung zu erhalten. Im Südsudan können nur etwa 20% der Leute Lesen und Schreiben; in unserer Gegend gerade 2%. Und darunter gibt es fast keine Frau. Bevor ich nach Old Fangak kam, war ich Schulleiter an einer von uns Comboni-Missionaren in 2010 eröffneten Grundschule bei den Mundari, einem anderen Hirtenvolk im Südsudan. Diesen Weg haben wir hier aber bisher nicht eingeschlagen, weil wir die Bemühungen der staatlichen Schule nicht untergraben wollen. Stattdessen koordiniere ich seit 2013 die Fortbildung von gut 60 Lehrern in unserem County. Es ist ein auf fünf Jahre angelegtes in-service Programm, also für Lehrer im Dienst. Jedoch nützt die beste Ausbildung nichts, wenn weiterhin die Gehälter in unserem County erst Monate später (oder gar nicht) ausgezahlt werden. Das ist der Grund, warum Lehrer abwandern und sich lieber von einer Nichtregierungsorganisation anstellen lassen.

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Vieles von unserer Arbeit ist unspektakulär. Wir wollen vor allem ein geschwisterliches und freundschaftliches Verhältnis mit den Nuer aufbauen. Das wichtigste sind für mich die Beziehungen innerhalb, aber auch außerhalb, der Pfarrei. Damit man sich unsere Art zu leben und zu arbeiten besser vorstellen kann, möchte ich auch auf folgendes hinweisen: Während größere Städte im Südsudan an das Mobilfunknetz angeschlossen sind, gibt es dies bei uns nicht. Kommunikation funktioniert auf diese Weise, indem ich das Haus der betreffenden Person aussuche, oder auf dem Markt mich nach jemand erkundige. Für Botschaften und Einladungen an die Kapellen wird ein Brief einer Person mitgegeben, die zufällig dorthin wandern muss. Ich empfinde dieses entschleunigte Leben als einen großen Segen. Es dauert alles seine Zeit, aber hier haben wir ja genug davon. Da die Leute nicht wissen, wann und wo sie sich das nächste Mal treffen, ist es unerlässlich, sich im Falle einer Begegnung über alles Wichtige auszutauschen. Auf Wanderungen mit den Katechisten bleiben wir jedes Mal stehen, wenn Leute uns entgegenkommen. Nach 10 Minuten wird die Wanderung fortgesetzt, nachdem alle Neuigkeiten ausgetauscht wurden. 

3) Wo setzen Sie Schwerpunkte?

Die Schwerpunkte sind die Seelsorge, Verkündigung und Bildungsarbeit (Alphabetisierung).

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4) Wo sehen Sie Zeichen der Hoffnung?

Die Entstehungsgeschichte unserer Pfarrei Ende der 90er Jahre ist das große Hoffnungszeichen für uns und die Katholiken hier. Sie lebten hier „wie Schafe ohne einen Hirten“, wie Jesus sagen würde. Der Ort Old Fangak ist nur deshalb bewohnt, weil der damalige Comboni-Missionar Pater Antonio Labraca 1998 hier sein Zelt aufgeschlagen hat. Während der Kolonialzeit war dieser Ort Sitz der britischen Regionalverwaltung. Nachdem die Straße mit der Zeit zuwuchs, verlegte die arabische Regierung die Verwaltung 60 km nach Norden an den Nil, und Old Fangak verwaiste. Hier ist aber das geographische Zentrum des Countys. Aufgrund der Freundschaft mit Pater Antonio entschied sich die amerikanische Ärztin Dr. Jill Seaman 2005 nach dem Friedensschluss, ein Krankenhaus in Old Fangak zu eröffnen. Auf diese Weise wird vielen Menschen das Leben gerettet. Heute hat Old Fangak etwa 3000 Einwohner. Das Krankenhaus ist Anlaufstation für über 20 000 Menschen.

Weitere Hoffnungszeichen:

Unsere Katholiken sind durch die großen Entfernungen auf sich gestellt und verhalten sich nicht als (enttäuschte) Konsumenten, wie das oft in Deutschland der Fall ist. Auch die Glaubensweitergabe an Nichtchristen geschieht in der Regel von Nuer zu Nuer. Wir Missionare taufen lediglich die Katechumenen, aber selbst das wird teilweise von ausgebildeten Katechisten übernommen. Unsere Jugend komponiert ausgiebig. Es gibt schon über 400 Kirchenlieder, meistens mit eigenen Melodien. Das halte ich für ein gutes Zeichen von Inkulturation. Ein Mal im Jahr haben wir einen Liederwettbewerb. Am Heilig Abend 2013 kamen 4500 Menschen zur Mitternachtsmesse. Darunter waren auch Nichtchristen. Die Botschaft des Evangeliums, dass Gott sich in Jesus der erlösungsbedürftigen Menschheit annimmt, bedeutet den Nuer viel. Ihr Leben ist geprägt von großen Nöten und Herausforderungen.

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5) Was sind die Hauptschwierigkeiten für die Verkündigungsarbeit, und was lässt sich dagegen unternehmen? 

Wir haben hier erst 3 Generationen Christen. Zwar sind die meisten Taufen heutzutage Kindertaufen, aber insgesamt ist ca. ein Drittel der Katholiken als Erwachsene getauft worden. Das macht deutlich, wie jung das Christentum noch ist. Auf der einen Seite ist das etwas Schönes, da es keine verstaubten Strukturen oder unhinterfragten Traditionen gibt. Auf der anderen Seite haben wir es mit einer jungen Pflanze zu tun, die sehr behutsam genährt werden muss.

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Unser größtes Problem ist der Mangel an fähigen und interessierten Gemeindeleitern. Eine Kapelle funktioniert in dem Maße so gut oder schlecht, wie sich der Katechist dafür einsetzt. Eine Voraussetzung, um für diese Arbeit ausgewählt zu werden, ist, dass man lesen kann. Weil die andere Voraussetzung ist, nur eine Frau zu heiraten, ist die Auswahl leider sehr begrenzt (99% der Männer leben polygam, die Analphabeten-Quote ist nicht wesentlich niedriger).

Die Vielehe (Polygynie = ein Mann mit mehreren Frauen) ist natürlich allgemein, nicht nur in Bezug auf Katechisten, eine Herausforderung. Das ist praktisch die einzige Vorgabe der Kirche, die in das Leben der Nuer eingreift, ohne dass sie deren Sinn verstehen. Ansonsten ist ihre Lebenswelt wesentlich näher der biblischen Mentalität als z.B. das säkulare Europa. Vieles in der Heiligen Schrift verstehen die Nuer intuitiv. Nur wenn es abstrakt wird, kommen sie nicht mit. Und die Begründung für die Monogamie ist sehr abstrakt, auch wenn das einen Europäer erst mal überrascht. Zur Zeit des Alten Testamentes lebten viele Männer Gottes polygam. Nirgendwo, auch nicht im Neuen Testament, wird das beanstandet. Der theologische Grund für die Monogamie ist die exklusive Liebe Jesu zu seiner Braut, der Kirche (Eph 5,31-32). Aber ein Nuer kann sehr leicht seinen Verpflichtungen gegenüber allen seiner Ehefrauen nachkommen. Das gesamte Gesellschaftssystem eines Hirtenvolkes basiert auf dem Austausch von Frauen und Rindern. Die Ehe ist ein Bündnis zweier Sippen. Je mehr Bündnisse geschlossen werden, umso besser. Je mehr Ehefrauen mit Kindern ein Mann managen kann, umso höher steigt sein Ansehen in der Gesellschaft. Solange die Hirtenkultur besteht, wird es die Polygynie geben. Wenn die Kirche möchte, dass diese Menschen unsere Mitchristen sind, müssen wir uns damit arrangieren.

Als dritten Punkt nenne ich die Gewalt. Der aufgeflammte Bürgerkrieg im Südsudan seit Dezember 2013 macht sichtbar, wie viel Gewalt latent bei den Nuer – wie allgemein bei Hirtenvölkern – vorhanden ist. Es wird schnell getötet, geschlagen oder anderweitig Gewalt angewendet. Sanftmut ist keine Tugend. Das verschließt den Zugang zu einem elementaren Aspekt von Jesu Lebensvorbild.

Für alle Schwierigkeiten in diesem Abschnitt habe ich keine Lösungsvorschläge. Sonst hätte ich sie nicht zu den Hauptschwierigkeiten gezählt.

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6) Wie kann man den Missionaren bei den Nuer helfen?

Ich freue mich über Gebet. Ansonsten wird uns nur wirklich geholfen, wenn junge Menschen sich für den Ordensweg entscheiden. Die Arbeit in einem Land wie Südsudan ist mühsam und teilweise gefährlich. Mit der Verantwortung für eine Familie geht das nicht. Damit unser Wirken fortgesetzt werden kann, braucht es Menschen, die sich mit Freude in der Nachfolge Jesu auf ein bescheidenes, zölibatäres Leben einlassen.

Das Interview führte Jorge Gallegos Sánchez

©Fotos: P. Gregor Schmidt

HINWEIS: Im Interview mit dem Internetportal Weltkirche spricht P. Gregor Schmidt über die politische Lage vor Ort und erklärt, welche Rolle die verschiedenen Ethnien im Konflikt spielen.