Projekt „Pentekostalismus und Öffentlichkeit“

Im Mittelpunkt des Forschungsprojekts „Pentekostalismus und Öffentlichkeit“ steht die Frage nach der theologischen Begründung des zunehmenden Wirkens pfingstkirchlicher Akteure in der globalen Öffentlichkeit. Dies wird durch unterschiedliche Initiativen sichtbar: politisches, kulturelles und zivilgesellschaftliches Engagement, starke mediale Präsenz, erhöhte Sichtbarkeit in der Stadt wie in der Öffentlichkeit  überhaupt und nicht zuletzt eine intensivere und explizitere Praxis der Glaubensverkündigung. Eine radikale Transformation der Gesellschaft wird häufig als Ziel dieses Engagements angegeben. Eine theologische Begründung für diese Sendung in die Welt wird hingegen eher selten formuliert. Die Eruierung dieser theologischen Begründung macht sich dieses Projekt somit zur Aufgabe, sofern diese neuen Akteurinnen und Akteuren ihr überhaupt eine zentrale Bedeutung beimessen, was zunächst offensteht.

Fragestellung

Die Anfänge des Pentekostalismus werden in historischen Arbeiten, ungeachtet mancher Stilisierung der Bewegung, zutreffend in Zusammenhang mit der Ermächtigung unterprivilegierter gesellschaftlicher Gruppen gebracht. Diese Erweckung der Armen und sozial benachteiligter Bevölkerungsgruppen ermöglichte es ihnen, ein neues Selbstbewusstsein zu erlangen. Eine gewichtige Rolle spielte dabei nicht nur die Überwindung der sozialen und rassistischen Trennungen des frühen 20. Jahrhunderts, sondern auch das, was neuerdings mit dem Begriff „Indigenisierung des Christentums“ bezeichnet wird (A. Anderson u. a.), welcher ebenso eine Enthierarchisierung wie eine radikale Inkulturation des Christentums bedeutete. Dieses neue Bewusstsein des eigenen, durch den Heiligen Geist bewirkten Ermächtigtseins erfuhr durch den Neopentekostalismus ab den 1980er Jahren eine Vertiefung und Erweiterung, indem sich diese neocharismatischen Akteurinnen und Akteure ihr religiöses und soziales Engagement in den Kontext der öffentlichen Sphäre stellten, und zwar mit einer globalen Ausrichtung. Sie zielten vor allem darauf ab, eine tiefgreifende Transformation der Welt und zeitgenössischer Gesellschaften herbeizuführen. Die sogenannte Dominion Theology bzw. Herrschaftstheologie der 1980er Jahre ist ein Beispiel dieses Imperativs.

Wo diese Bewegung aber aus den eher als bildungsfern bezeichneten ‚Rändern‘ der Gesellschaft hervorgeht und mit einem religiösen Absolutheitsanspruch arbeite, liegt es auf der Hand, dass sie ein enormes Potenzial an Gesellschaftskritik in sich birgt. Durch das Auftreten dieser neuen Akteure wird der gebildete, politisch korrekte, öffentliche Diskurs radikal infrage gestellt, indem gegen diesen ein prophetisches, mit göttlicher Autorität ausgestattetes Wort gerichtet wird. Dabei soll jedoch die Konfliktträchtigkeit dieses ‚Kampfes‘ (Spiritual Warfare) zwischen pfingstlerisch-evangelikalen und säkularen oder andersgläubigen Akteuren nicht unterschätzt werden. Denn er wird in der Öffentlichkeit ausgetragen und bestimmt diese auch neu.

Vor diesem Hintergrund nimmt sich das Projekt vor, die inneren Zusammenhänge dieses Phänomens zu erforschen, um das Verhältnis zwischen Pentekostalismus und öffentlicher Sphäre angemessener bestimmen zu können. Denn sehr häufig werden die theologischen, in die Öffentlichkeit eingebrachten Argumente dieser Akteure vorschnell als Fundamentalismus oder Neokonservatismus abgetan. Die Frage ist jedoch, ob diese Kategorien bei diesen neuen Phänomenen tatsächlich greifen bzw. ihnen gar gerecht werden. Zudem ist noch nicht absehbar, wie sich ihr Engagement auf die Gesellschaft langfristig auswirken wird, ob vorwiegend positiv oder eher negativ, weswegen normative Fragen hierbei eher in den Hintergrund treten. Beabsichtigt wird stattdessen, theologische Grundmotive dieser neuen Akteurinnen und Akteure zu identifizieren, welche mit dem oben kurz dargestellten, gewandelten Selbstverständnis des Pfingstchristentums einhergehen, bevor Schlussfolgerungen normativer Art gezogen oder weitreichende Konsequenzen formuliert werden. Denn nur so kann ein adäquater Zugang zu diesem Phänomen gewährleistet werden, um in einem weiteren Schritt überhaupt in der Lage sein zu können, ein Urteil darüber zu fällen, ob es tatsächlich eine Zäsur im Christentum darstellt oder ob es sich dabei eher um eine Rückbesinnung auf vergangene Argumentationsmuster der christlichen Tradition handelt, wie häufig behauptet, welche dann durchaus mit dem stets neu zu bestimmenden Adjektiv ‚konservativ‘ zu versehen ist.

Bibliografie

Anderson, Allan Heaton. An Introduction to Pentecostalism: Global Charismatic Christianity. 2. Aufl. Cambridge, UK: Cambridge University Press, 2014.

Michel, David. Toward an Ecclesiology of Racial Reconciliation: A Pentecostal Perspective. Dissertation, Chicago Theological Seminary, 2019.