Frauen in der Mission
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Ein missionsgeschichtliches Forschungsprojekt über Ostafrika
„Im Mai 1908 hatte unser Hochwürdigster Herr Bischof Thomas im Mutterhaus Tutzing sechs Schwestern für Kwiro bestellt.“ Mit diesen Worten beginnt die Chronik der Missionsbenediktinerinnen von Tutzing, die von 1908 bis 1918 auf der Missionsstation Kwiro in Tansania tätig gewesen sind. Im Laufe des 19. Jahrhunderts kam es in Deutschland zu zahlreichen Neugründungen von Missionsorden, -gesellschaften und -vereinen. Mit dem Ziel die Botschaft des Evangeliums auch in die entlegenen Gebiete der Welt zu bringen, wurde der Ruf nach Frauen im Missionsdienst immer deutlicher. Im 19. und 20. Jahrhundert waren zahlreiche Missionsschwestern als Lehrerinnen, Katechetinnen, Krankenpflegerinnen, Ärztinnen und Sozialarbeiterinnen tätig und sind das bis heute. Gleichwohl liegt der Fokus der missionsgeschichtlichen Forschung traditionell auf den männlichen Akteuren. Durch die Analyse von Chroniken der Missionsschwestern, Missionszeitschriften, Lebensgeschichten und Briefen soll in diesem Forschungsprojekt reflektiert werden, welche Rolle weibliche Missionare in der Missions- und Kirchengeschichte eingenommen haben. Dabei stehen zentrale Fragestellungen einer feministischen Missionswissenschaft im Vordergrund:
- Was ist der spezifische Auftrag weiblicher Missionare in der Katholischen Kirche?
- Wie wurden Missionsverständnis und –praktiken durch interkulturelle Begegnungen geprägt?
- Auf welche Weise hat sich das Selbstverständnis als Frau in der Katholischen Kirche durch das Zusammenwirken mit den Frauen im Missionsland verändert?
- Welchen Beitrag leisten die Sichtweisen, Erfahrungen und Schwierigkeiten der Missionsschwestern bezüglich eines theologisch ganzheitlichen Missionsverständnisses?
Einen theologischen Ansatz, der die theologische Wirkkraft historischer Zeugnisse von Frauen in der Mission in den Mittelpunkt stellt, hat Margit Eckholt entwickelt. Sie bezeichnet „Missionarinnen als transkulturelle Akteurinnen“, die „ZwischenWeltenLeben“ (Eckholt 2017). Diese Stellung der Missionarinnen im Zwischenraum macht sie für die missionswissenschaftliche Forschung interessant: Sie stehen zwischen Europa und dem globalen Süden, zwischen der männlich geprägten Kirche und den einheimischen Frauen, zwischen einem kolonialen Blick und dem interkulturellen Miteinander, zwischen der Konfrontation mit dem Leid der Armen und der Verkündigung vom Anbruch des Reiches Gottes.
In dem geplanten Dissertationsprojekt möchte ich Aufzeichnungen der Missionsbenediktinerinnen von Tutzing aus den Jahren 1908 – 1918 analysieren. Die genannten Spannungsfelder des Zwischenraums, in dem sich die Missionsschwestern befinden, dienen als Orientierungspunkte der theologischen Explikation der Analyse. Inhaltlich sind dabei folgende Aspekte relevant:
Missionsgeschichte Afrikas:
Die Missionsgeschichte Afrikas beginnt im frühen Christentum mit dem kulturellen Reichtum der Kirche Ägyptens, aus der sich das koptische Christentum entwickelt hat. In den Königreichen Nubiens (heutiger Sudan) gibt es frühe christliche Zeugnisse bevor das Gebiet unter islamische Herrschaft gelangte und die heutige Äthiopische Kirche schaut auf eine lange Tradition zurück, die in den ersten Jahrhunderten des christlichen Glaubens ihren Anfang hat. Das Forschungsprojekt wird sich jedoch nicht auf die frühe Missionsgeschichte Afrikas konzentrieren, sondern fokussiert das heutige Ostafrika ab 1850. Mitte des 19. Jahrhunderts beginnt die Hochzeit des sogenannten „Missionsjahrhunderts“ (Sievernich 2009: 91). Obwohl die katholische Kirche und die Orden in Deutschland während des Kulturkampfes und der Klostergesetze mit vielen Schwierigkeiten zu kämpfen hatten, begeisterten sich immer mehr Menschen für die Mission. Zahlreiche Missionsorden, -gesellschaften und –vereine wurden in dieser Zeit auf katholischer und protestantischer Seite gegründet, mit dem Ziel, die Mission in Afrika zu unterstützen. Gleichzeitig begann im 19. Jahrhundert das zweite Kolonialzeitalter, welches sich von der Aufteilung Afrikas zwischen den Mächten Europas auf der Berliner Kongo-Konferenz (1884/85) bis zur Entkolonialisierung der afrikanischen Staaten Mitte des 20. Jahrhunderts erstreckte. Die Verflechtung von Missions- und Kolonialgeschichte in Afrika und die damit verbundenen kritischen Anfragen der postcolonial studies werden in dieser Arbeit reflektiert.
Die Missionsbenediktinerinnen von Tutzing in Ostafrika:
Der christliche Glaube hat sich in Ostafrika von der Küste aus entlang der Handelsrouten ins Landesinnere verbreitet. Die Missionsbenediktinerinnen von Tutzing (gegründet 1885) sind im Januar 1888 erstmals über Sansibar nach Ostafrika gereist, um die Missionsbenediktiner bei der Missionstätigkeit in der neu errichteten Apostolischen Präfektur Südsansibar zu unterstützen (Vgl. Walter 1992: 1ff). Nach schweren Rückschlägen konnten an der Küste und im Landesinneren verschiedene Missionsstationen errichtet werden. Eine dieser Stationen war Kwiro, wo die Missionsbenediktiner 1897-1917 und die Schwestern 1908-1918 gewirkt haben. Anhand der Chroniken der Station können die Leitlinien des Lebens und der Tätigkeiten der Schwestern nachvollzogen werden. Über allem steht die christliche Nächstenliebe, als feste Überzeugung im Dienst für die Menschen in Tansania wenn nötig auch die eigene Gesundheit und das eigene Leben zu opfern. Das dies eine sehr realistische Bereitschaft der Schwestern darstellte, zeigen Berichte über Zeiten schwerer Krankheit oder Gefangenschaft. Neben den Krankheiten der Ordensgeschwister nehmen die Schilderungen von Erkrankungen und Todesfällen in der Bevölkerung viel Raum ein und stellen die Schwestern vor theologische Fragestellungen, wie zum Beispiel die der Nottaufe. Wichtige pastorale, medizinische und pädagogische Fragestellungen stehen im Kontext des Beziehungsnetzes der Missionarinnen zu:
- den lokalen Frauen und Kindern
- der christlichen – muslimischen – heidnischen lokalen Bevölkerung
- den benachbarten Missionsbenediktinern
- der deutschen Kolonialregierung vor Ort
Mission als Kontaktzone interkultureller Begegnung (Vgl. Habermas/Hölzl 2014):
Missionstätigkeit eröffnet Räume der interkulturellen Begegnungen. Das Beziehungsnetz der Missionarinnen soll daher im Mittelpunkt der Analyse stehen. Welche interkulturellen Begegnungen haben zwischen den Schwestern und der lokalen Bevölkerung stattgefunden, in welcher Sprache und an welchen sozialen Orten? Welche Einstellungen, Grundhaltungen und Vorerfahrungen haben diese Begegnungen geprägt? Wie haben sich durch die Begegnung theologische und soziologische Grundhaltungen verändert? In welchem Verhältnis stehen die zwischenmenschlichen Kontakte zu pastoraler und praktischer Entwicklungsarbeit in der Mission?
Interkulturelle Begegnungsräume im christlichen Glauben:
Die Charakterisierung von Mission als Ort interkultureller Begegnung beinhaltet gleichsam die Rückfrage, wie der christliche Glauben eben diese Begegnungen beeinflusst. Wie wirkt sich der Glaube an Jesus Christus auf die Begegnungen zwischen den MissionarInnen und ihren Nächsten in dem jeweiligen Missionsland aus? Wie formt die Erfahrung des Fremden den Glauben in seinen Vollzügen? Inwieweit lassen sich die beteiligten Personen – Einheimische und die im Missionsdiens – durch diese Erfahrung des Fremden verändern? Der auf den indischen Kulturwissenschaftler Homi K. Bhabha zurückgehende Begriff des „dritten Raumes“ (vgl. Bhabha 1994) bezeichnet einen Denkraum in der Schnittstelle zwischen verschiedenen Kulturen. Welche interkulturellen und theologischen Dynamiken haben sich in der Missionsgeschichte in dem dritten Raum entwickelt, in deren Zentrum der Glaube an Jesus Christus steht?
Die Genderfrage in der Missionsgeschichte: In der Diskussion um die zukünftige Rolle der Frauen in der Kirche lohnt sich ein Blick zurück auf die Bedeutung der Frauen in der Missionsgeschichte und eine Würdigung ihres Dienstes für die Armen. Ein Anliegen dieser Arbeit ist es, die Geschlechterverhältnisse in der Mission in den Blick zu nehmen, nach dem Selbstverständnis der Frauen als Missionarinnen zu fragen und danach, wie sich dieses in Kontakt und Austausch mit den Frauen vor Ort verändert hat. Die Fragestellung, wie Frauen in der Missionsgeschichte dargestellt werden, wird dabei genauso berücksichtigt werden wie die Gerechtigkeitsfrage, fokussiert auf den Umgang der Missionare und Missionarinnen mit Ungleichheit und Unterdrückung der Frau.
Literatur:
Eckholt, Margit, ZwischenWeltenLeben – Missionarinnen als transkulturelle Akteurinnen. Impulse für eine feministische Missionswissenschaft aus systematisch-theologischer Perspektive, in: ZMR 101, S. 46-63.
Habermas, Rebekka/Hölzl, Richard (Hgg.), Mission Global. Eine Verflechtungsgeschichte seit dem 19. Jahrhundert. Köln/Weimar/Wien 2014.
Bhabha, Homi K., The Location of Culture. London/New York 1994.
Sievernich, Michael, Die Christliche Mission. Geschichte und Gegenwart. Darmstadt 2009. Walter, Sr. Bernita OSB, Von Gottes Treue getragen. Die Missionsbenediktinerinnen von Tutzing. Band II: Gottes Treue verkünden. Wegbereiter für die Kirche in Ostafrika. St. Ottilien 1992.
Kontakt: Friederike Dillenseger