Die These wird immer wieder in Disputen über die Bedeutung der Religionen in der Welt von heute vertreten: Dass zahlreiche grausame Gewalttaten auf die religiöse Einstellung der Protagonisten zurückzuführen seien, weshalb jeder Glaube aus humanitären Gründen einem Generalverdacht unterstellt werden solle. Angefeuert wird diese Behauptung durch die jüngsten Ereignisse, die in unterschiedlichen Regionen der Welt stattfinden: Von Nigeria mit den Fanatikern der Boko Haram über den arabischen Raum mit der sunnitischen Terrorgruppe ISIS bis nach Indien, wo nationalistische Hindus Christen und Muslime bedrohen.
Auf einer gemeinsamen Tagung des Deutschen Menschenrechtsinstituts, der Konrad Adenauer Stiftung und der Europäischen Kommission am vergangenen Donnerstag in Berlin wurde von verschiedener Seite mit der These religiös motivierter Gewalt aufgeräumt. So warnte der UN-Sonderberichterstatter für Religionsfreiheit, Heiner Bielefeldt, davor, die Konflikte einseitig auf eine religiöse Motivation zurückzuführen. Denn nach seiner Einschätzung sei Religion sei zwar oft ein Faktor, „aber selten die Hauptursache und nie die alleinige Ursache“ von gewalttätigen Konflikten. Der gleichen Meinung war der Menschenrechtsexperte der Grünen, Tom Koenigs, der eine religiös-fundamentalistische Aufladung regionaler Konflikte von sozio-politischen Faktoren abhängig macht: In Afghanistan seien etwa an die Stelle des zusammengebrochenen Bildungssystems Koranschulen getreten.
Untermauern lassen sich diese beiden Positionen mit einer umfassenden Studie der Bertelsmann-Stiftung, bei der die globalen Konflikte über einen Zeitraum von 1945 bis 2007 ätiologisch untersucht wurden („Kultur und Konflikt in globaler Perspektive – Die kulturellen Dimensionen des Konfliktgeschehens 1945-2007“, Verlag Bertelsmann Stiftung, Gütersloh 2009). Darin zeigte sich, dass monofaktorielle Erklärungsversuche von Konflikten der komplexen Realität nicht gerecht werden. Neben religiösen Faktoren spielen soziale, wirtschaftliche und politische Faktoren eine große Rolle. Religionen und deren Anhänger stehen hierbei in der Gefahr, für andere Zwecke missbraucht zu werden.
Wenn dem tatsächlich so ist, dass Religion nur einer von mehreren Faktoren im Zusammenhang mit violenter Gewalt ist, dispensiert dies freilich nicht von einer Mitverantwortung, insbesondere bei der Eskalation von Konflikten und der Legitimierung von Gewalt.
Roman Beck
Quelle:
http://weltkirche.katholisch.de/de/weltkirche/aktuelles/20140630_fundamentalismus_religion.php