Säkularität als Chance

01. Oktober 2012

©IWM

Mehr Chance als Krise für die christliche Mission in säkularisierten Gesellschaften sahen hochkarätige Referenten bei der Jahrestagung des IWM. Kirche biete sich als offener Ort der Begegnung, Lebensraum oder „Dach für die Seele“ an, konstatierten die Berichterstatter aus der Praxis.

Vom 26.- 28. September 2012 fand an der Hochschule Sankt-Georgen die 3. Jahrestagung des IWM mit dem Titel Neue Räume öffnen – Mission und Säkularisierung(en) statt. Die erste Einheit der Tagung analysierte das Phänomen Säkularisierung aus religionssoziologischer Perspektive. In einem öffentlichen Vortrag unterschied Prof. Dr. José Casanova (Washington D.C.) drei Formen von Säkularisierung: differentiation of the secular spheres (Säkularisierung I), decline of religious beliefs and practices (Säkularisierung II), und privatization of religion (Säkularisierung III). Diese drei Typen von Säkularisierungen sind in unterschiedlichen Kontexten auch anders stark ausgeprägt. Während beispielsweise das postkoloniale Indien auf seinem Weg zur Modernisierung stark auf religiöse Quellen und Gruppen setzte, etablierte sich im modernen China ein religionskritisches Klima, das auch staatlicherseits Säkularisierungstendenzen zu befördern versuchte. Es wäre daher unangemessen, nur von einer Form von Säkularisierung zu sprechen, die sich global ausbreitet. Vielmehr lassen sich unterschiedliche religiöse Transformationsprozesse beobachten, die letztlich zu einer grundsätzlichen Pluralität führen.

Im Mittelpunkt der Reflexion stand in der zweiten Einheit des Symposiums die theologische Reflexion von Säkularität. Der Schöpfungbericht zeige die Anerkennung Gottes seiner Schöpfung. Ihre Freiheit sei von Gott selbst gewollt und gefördert. Die Creatio solle daher in ihrer Autonomie heute neu anerkannt werden – so Prof. Dr. Knut Wenzel (Frankfurt). Die eigenen Ressourcen erlaubten so dem Christentum einen angemessenen Umgang mit dem komplexen Säkularitätsphänomen. Es sei notwendig, den Dialog Gottes mit dem einzelnen Menschen nicht aus dem Auge zu verlieren, unterstrich Prof. Dr. Markus Knapp (Bochum) auf die Frage nach den Möglichkeiten christlicher Verkündigung in einem säkularisierten Umfeld. Man solle nach Wegen suchen, um den Menschen ins Herz zu treffen.

Die Beobachtung religiöser Praxis in sogenannten säkularen Gesellschaften war Bestandteil der dritten Einheit. In Deutschland – einer Glaubensrepublik – sei religiöse Praxis quer durch das ganze Land zu finden. Mission, die nicht aufdringlich wirke, bereit zum Dialog sei und sich auf das eigene Zeugnis konzentriere, hob die Referentin Claudia Keller (Berlin) als angemessen hervor. Prof. Dr. Matthias Sellmann (Bochum) formulierte Säkularität als große Chance für die Verkündigung der Kirche. Die Analysen sakramentaler Praxis in einem nichtchristlichen Umfeld (Erfurt) und von pastoralen Initiativen (Frankfurt) zeigten konkrete Perspektiven der Kirchengestaltung innerhalb einer pluralisierten und säkularen Welt. Die Jahrestagung ermöglichte nicht nur fachliche Diskussion, sondern auch den ungezwungenen Austausch mit Referenten aus aller Welt. Sämtliche Beiträge der Tagung werden im dritten Band der Studienreihe Weltkirche und Mission des IWM veröffentlicht.

Von: Jorge Gallegos Sánchez