Syrien und die Frage nach dem Bellum Iustum

2. September 2013

Nach dem Giftgaseinsatz in Syrien schaut die Welt gespannt nach Amerika: Wird es eine militärische Antwort auf das grausame Verbrechen geben, das an der Bevölkerung von Syrien verübt wurde? Wenngleich die Zahlen ungesichert sind, ist von mindestens 1429 Toten die Rede, die bei dem Giftgasangriff ums Leben kamen, worunter sich mindestens 426 Kinder befinden sollen. Man muss kein Übermaß an Unrechtsempfinden innehaben, um mit Ungeduld und Unverständnis zu reagieren: Warum zögern die USA eine militärische Aktion zu bestrafen, die alle bisherigen Grausamkeiten im Bürgerkrieg von Syrien in den Schatten stellt?

Selbst aus der Perspektive der Moraltheologie und -philosophie, die sich ihrem Anspruch nach von vorschnellen Moralisierungen frei zu machen hat, scheint die Sachlage klar zu sein: Nach der Lehre vom gerechten Krieges (bellum iustum) lässt sich das bewaffnete Eingreifen der Amerikaner im Syrienkonflikt ethisch und rechtlich legitimieren, da es den definierten Anforderungen genügt: Wie wir bereits von Thomas von Aquin, einem wichtigen Protagonisten dieser Lehre wissen, ist ein Krieg nur dann gerecht, wenn er von einer rechtmäßigen Autorität, aus einem gerechten Grund und mit rechter Intention durchgeführt wird. Alle drei Voraussetzungen scheinen bei einem Militärschlag von Seiten Amerikas erfüllt zu werden. Außerdem dürfte der Grundgedanke des Aquinaten, dass die Übel des Krieges in Kauf genommen werden müssen, damit ein Übeltäter von weiteren Sünden abgeschreckt werden kann, von vielen Befürwortern eines Militärschlags unterstrichen werden.

Foto: Wikimedia Commons; Bo yaser

Doch die Grenzen dieser Argumentation werden sichtbar, wenn man sich die weiteren Differenzierungsschritte in der Lehre vom gerechten Krieg vor Augen führt: Etwa der Jesuit Francisco de Suárez ergänzte die Bedingungen, dass der Krieg nur als letztes Mittel in Betracht kommen könne und es eine realistische Aussicht auf Erfolg geben müsse, damit von einem gerechten Krieg die Rede sein dürfe. Außerdem dürften die Folgeschäden des Krieges nicht absehbar größer sein als die dadurch verhinderten Schäden. Angesichts dieser Einwände sind die Einschätzungen diverser Kenner der syrischen Situation von hoher Relevanz und Brisanz: Die Generalsekretärin von Pax Christi, Christine Hoffmann, äußerte letzte Woche die Befürchtung, dass eine militärische Intervention die Situation in dem Bürgerkriegsland weiter verschlimmern werde. Deutsche Hilfsorganisationen sehen die humanitären Hilfen in Syrien gefährdet, worunter zahlreiche Zivilisten zu leiden hätten. Eine politische Lösung wird von diesen Akteuren weiterhin präferiert.

Man sieht, dass die Ethik auf komplexe Fragen keine einfachen Antworten parat halten kann. Angesichts der grausamen Bilder aus der syrischen Region Ghuta wird jedenfalls die größte Herausforderung darin bestehen, nicht der Logik „Auge um Auge, Zahn um Zahn“ zu verfallen.

Roman Beck