IWM-Werkstatt, 16.12.2014: Sr. Birgit Weiler von den Missionsärztlichen Schwestern, die im Rahmen der Gastprofessur 2014 von Theologie Interkulturell in Frankfurt weilt, ist zu Gast am Institut für Weltkirche und Mission. Sie ist Theologin und Beraterin zweier bischöflicher Kommissionen der lateinamerikanischen Bischofskonferenz (CELAM). Das Thema ihrer Vorlesungsreihe lautet: „tajimat pujút / ‚gut leben‘. Prophetischer Einspruch und Anspruch aus Amazonien im Zeitalter der Globalisierung.“ „Tajimat pujút“ („gut leben“) ist ein zentraler Begriff des indigenen Volkes der Aguaruna – oder besser: der „Awajun“, wie sie sich selbst nennen. Wie die Huambisa – in der Selbstbezeichnung „Wampis“ – leben sie im Norden Perus an der Grenze zu Ecuador.
Beide Volksgruppen pflegen eine vorwiegend orale Kultur. Die mündliche Weitergabe ihrer Werte ist jedoch im Kontext wachsender Globalisierung mehr und mehr bedroht. Der Jesuit Manuel García-Rendueles machte sich angesichts dieser Gefahr daran, in mühsamer Kleinarbeit die einschlägigen, an Alltagsrituale gebundenen Erzählungen niederzuschreiben. Auf diese Weise entstand die umfassendste Mythensammlung Lateinamerikas, die auch in spanischer Sprache vorliegt. P. José María Guallart, ebenfalls Jesuitenpater, setzte sich in der Folge für eine zweisprachige interkulturelle Schulbildung ein, die zum Ziel hatte, bei der Befähigung der jüngeren Generationen zum Dialog mit den neuen Einflussgrößen die tradierten Werte angemessen zur würdigen.

Sr. Birgit Weiler MMS
Sr. Birgit wurde damit betraut, das Forschungsprojekt „Inkulturation des christlichen Glaubens in die Lebenswelt der beiden indigenen Völker der Aguaruna und Huambisa (Peru)“ zu koordinieren. Dabei geht es zum einen um die Dokumentation der Pionierarbeit der beiden genannten Jesuiten, zum anderen aber auch um die Frage, welche pastoralen Haltungen und Maßnahmen notwendig sind, um die jungen Generationen der Awajun und der Wampis bei ihrer Selbstverortung in dem sich schnell wandelnden Kontext angemessen zu unterstützen, ohne sie zu bevormunden. Dies ist nur möglich in einem kontinuierlichen Dialog, der vor allem die Fähigkeit des Zuhörens voraussetzt. Erschwert wird diese Aufgabe durch zahlreiche Problemkonstellationen wie die Spaltung des peruanischen Episkopats in zwei Lager, die Präsenz militanter evangelikaler Gruppierungen, die wirtschaftlichen Interessen in Bezug auf Goldabbau und Erdölförderung im Lebensraum der indigenen Völker uvm.
„Tajimat Pujút“ ist demgegenüber der Boden, auf dem auch ein Gespräch über den christlichen Glauben möglich wird. Sowohl für die christliche Überlieferung als auch für die genannten indigenen Kulturen stellt das Leben den zentralen Wert dar. Gut ist, was dem Leben dient, die gesamte Schöpfung eingeschlossen. Die Unterstützung der indigenen Völker durch die katholische Kirche muss sich an diesem Axiom messen lassen. Wo dies erkennbar und deutlich wird, öffnet sich der Weg zu einem neuen – durchaus asymmetrischen – Miteinander, das die Möglichkeit wohlgemeinter gegenseitiger Kritik einschließt.
Tobias Keßler