Am Dienstag, 14.05.2013 fand der diesjährige IWM-Studientag zum Thema „Migration als Ort der Theologie“ statt. Migration ist in Gesellschaft und Kirche ein prominentes Thema, das unter verschiedensten Gesichtspunkten debattiert wird. Weniger im Blick ist dagegen die theologische Relevanz des Phänomens. So war es das erklärte Ziel des Studientages, diesem Defizit entgegen zu wirken.
Anhand einer sozialwissenschaftlichen Analyse des Phänomens arbeitete Regina Polak (Wien) im Eröffnungsvortrag die für die Theologie relevanten Fragestellungen heraus, allen voran die Frage der Gerechtigkeit, aber auch Themen in Bezug auf den Umgang mit wachsender Pluralisierung und Diversität. Als Antwort der Theologie auf diese Fragen legte sie nahe, Migration als „Zeichen der Zeit“ und als „locus theologicus“ wahrzunehmen, wobei sie diese Termini vor dem Hintergrund ihrer Begriffsgeschichte und im Anschluss an Hans-Joachim Sander miteinander identifizierte. Dabei wurde deutlich, dass Polak Migration nicht nur als theologielegitimierendes Phänomen, sondern als einen theologiegenerativen Ort versteht. Vor diesem Hintergrund plädierte sie denn auch für eine migrationssensible Theologie.
Gioacchino Campese (Foggia), der sich seit geraumer Zeit mit den Fragen einer Theologie der Migration befasst und darin eine zentrale Blickrichtung der Theologie der Gegenwart sieht, unternahm den Versuch, die wesentlichen Elemente dieser theologischen Disziplin zu benennen. Er betonte dabei die Notwendigkeit, von den konkreten Erfahrungen der Migranten auszugehen und keine Angst davor zu haben, „sich die Hände schmutzig zu machen“. Die existenzielle Vertrautheit der Theologen mit „Freude und Hoffnung, Trauer und Angst“ (GS 1) der Migranten sei wesentliche Voraussetzung für eine ertragreiche Theologie der Migration. Damit wehrte sich Campese zugleich gegen einen theologischen Ansatz, der die komplexe Realität der Migranten auf den Aspekt der Fremdheit reduziert und darüber philosophiert. Migrationstheologie ist für Campese von Anfang an Missionstheologie, wobei er die Migranten selbst als Subjekte der Mission betrachtet, als „Partner Gottes in dem, was Gott tut“.
Auch die Bibeltheologie verändert sich im Kontext der Migrationserfahrungen. Dies wurde an den Ausführungen von Anna Fumagalli (Solothurn/Lugano) deutlich. Nach methodologischen Bemerkungen zum kommunikativen Charakter der biblischen Texte, die den jeweiligen Sitz im Leben des Lesers nicht nur tolerieren, sondern positiv voraussetzen, widmete Fumagalli ihre Aufmerksamkeit zwei Querschnittsthemen, die sich aus ihrer Sicht am biblischen Zeugnis ablesen lassen: die Beziehung zum Fremden einerseits und die Erkenntnis, selbst Fremder zu sein, andererseits. Diese Erkenntnis, die ihre Ursprünge im Alten Bund hat, setzt sich in der Erfahrung der ersten Christen in Form einer neuen Selbstwahrnehmung als Begnadete fort. Die biblische Offenbarung lädt damit Sesshafte und Migranten gleichermaßen ein, sich als Fremde und Beschenkte zugleich zu entdecken.
TK