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Man macht in der katholischen Kirche in der Regel – und insbesondere seit der Wahl von Franziskus zu ihrem Oberhirten – wenig falsch, wenn man sagt, dass sich die Kirche für die Armen einsetzen muss. Eben dies trifft auch für den Gastbeitrag von Erzbischof Ludwig Schick zur Renovabis-Pfingstaktion zu, den er mit Bezug auf eine Formulierung des Papstes unter dem Titel „Bis an die Grenzen der menschlichen Existenz“ verfasst hat.
Brisant ist dagegen die Frage, wie dieser Einsatz zugunsten der Armen konkret auszusehen hat. Muss „die Kirche“ mächtig sein, um den Ohnmächtigen helfen zu können? Oder dient diese verbreitete Überzeugung doch eher als Alibi zur Aufrechterhaltung vertrauter Strukturen, die eine letztlich trügerische Sicherheit vorgaukeln und eigentlich nur die Angst vor einer per se notwendigen Entäußerung und eines realen Verzichts kaschieren? Geht nicht der Ruf des Evangeliums dahin, die Ohnmacht der Armen zu teilen? Oder braucht es gar beides, sozusagen das Evangelium als Ideal auf der einen Seite und daneben eben doch auch den „gesunden Menschenverstand“?
Trotz seiner Kürze enthält der Beitrag von Erzbischof Schick mehrere Äußerungen, die, auch wenn sie durchaus Fragen offen lassen, dennoch neue Töne anschlagen. „Um der Armen willen muss die Kirche arm werden: durch Teilen.“ Dass es bei diesem Teilen nicht nur um großzügige Geldspenden geht, wird spätestens an folgender Formulierung in Bezug auf die Kirche „im reichen Europa und Nordamerika“ deutlich:
„Sie muss von allem, was sie sich im Laufe der Jahrhunderte angeeignet hat, Abschied nehmen, das heißt von europäischer Vormachtstellung und Überheblichkeit, von egoistischem Eurozentrismus, von europäischen und nordamerikanischen Verhaltensweisen, Lebens- und Führungsstilen. Ziel soll sein: Kirche Jesu Christi in der ganzen Welt, also wahrhaft katholische Kirche.“
Sicher lässt sich darüber streiten, ob die Kirchen im wohlhabenden Westen, um sich auf das genannte Ziel hin auszurichten, tatsächlich alles über Bord werfen müssen, was sie sich angeeignet haben. In jedem Fall aber markiert Erzbischof Schick eine Bringschuld derselben in Bezug auf das Teilen, ohne deren Tilgung das Ziel, wahrhaft weltweite, katholische Kirche Jesu Christi zu sein, nicht erreicht werden kann. Damit ist zugleich gesagt, dass die Kirche Jesu Christi weniger eine Gegebenheit als vielmehr ein Ideal darstellt, um dessen Verwirklichung es individuell und gemeinschaftlich stets zu ringen gilt.
Selbstverständlich müssen sich solche Aussagen in der Realität bewähren. Immerhin zeigen sie aber, dass die Türen grundsätzlich auch kritischen Stimmen offen stehen und die Verfasstheit westlicher Kirchen durchaus problematisiert und hinterfragt werden darf.
Ob die Begrifflichkeit der „Entweltlichung“, die sich der Autor im Anschluss an Benedikt XVI. sowie Franziskus zu eigen macht, der genannten Sache dienlich oder zu deren Erklärung gar notwendig ist, sei dahingestellt.
Tobias Keßler
Quelle: weltkirche.katholisch.de