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Mit Óscar Romero ging Gott durch El Salvador

Am vergangenen Pfingstsamstag erfolgte, worauf Millionen Katholiken (nicht nur) des lateinamerikanischen Kontinents jahrzehntelang gewartet hatten: die Seligsprechung des Erzbischofs von El Salvador Óscar Arnulfo Romero.

Óscar Romero hatte durch seinen mutigen Einsatz für die ausgebeuteten und verarmten Bevölkerungsmehrheiten El Salvadors während der Zeit der sich abwechselnden Militärregierungen weltweite Bekanntheit erlangt. Am 24. März 1980 wurde er während einer Messfeier im Auftrag hoher Militärs ermordet.

Lange Zeit war das Seligsprechungsverfahren dieses „Patrons Lateinamerikas“ (Pedro Casladáliga) von kirchlicher Seite blockiert, angeblich aus Sorge vor einer möglichen politischen Instrumentalisierung seines Andenkens.

Tatsächlich steht jede Gedenkkultur in der Gefahr einer solchen Instrumentalisierung. So stößt man in der Gedenktradition der katholischen Kirche bisweilen auf eine mystifizierende Überhöhung und Sakralisierung der Heiligen, die diese zu heldenhaften Übermenschen stilisiert, die mit den gewöhnlichen Menschen nichts mehr gemein zu haben scheinen. Der Bereich dieser Helden ist das Außergewöhnliche, der Sonderfall. Im Vergleich zu ihnen erscheint jeder Versuch, selbst ein Leben wie diese Helden führen zu wollen als Anmaßung, wir begnügen uns mit der Verehrung und der Huldigung.

Eine solche Art von Gedenkkultur ist gefährlich. Sie schwächt unser Zutrauen in unsere eigenen Kräfte, indem sie uns ständig vor Augen führt, wie schwach und hilflos wir angesichts der „wirklich Großen“ sind. Sie führt zu Passivität und zerstört unsere Kreativität, die wir bräuchten, um unter anderen geschichtlichen Umständen selbst als Heilige zu leben. Im letzten ist sie Götzendienst.

 

Das Beispiel Óscar Romeros in El Salvador zeugt von einer anderen Gedenkkultur. Noch 35 Jahre nach seinem Tod ist er im Alltagsleben in El Salvador auf beeindruckende Weise präsent, nicht nur im Gedächtnis der Menschen, sondern auch als Graffiti auf Häuserwänden, in Liedern, in der Kunst und im Engagement von Jugend- Frauen- und Menschenrechtsgruppen. Zahlreiche, auch einfache Menschen erinnern sich noch immer lebhaft an die Predigten Romeros, die über Rundfunk ins ganze Land übertragen wurden. Viele können Teile davon bis heute auswendig.

 

Das Gedächtnis Romeros in El Salvador ist kein Kult, der vertröstet und von den Problemen der Gegenwart ablenkt. Er verkörpert die lebendige Hoffnung, dass der Kampf für Gerechtigkeit, Versöhnung und Freiheit bei allem Scheitern im letzten nicht umsonst, sondern von Gott selbst getragen ist. Das Gedächtnis Romeros ist Kraft und Ansporn, heute unter anderen Umständen die Arbeit Romeros fortzusetzen. Überall wo sich Menschen in El Salvador auf Romero berufen, verbindet sich damit eine Kritik an den immer noch bestehenden Unrechts- und Unterdrückungsstrukturen. „Romero hat nicht so geredet“, sagen sogar einfache Menschen, um die Angepasstheit und soziale Blindheit mancher seiner Nachfolger auf dem Bischofssitz zu kritisieren. Das Büro für Menschrechte der Diözese San Salvadors trägt ebenso den Namen Romeros wie Jugend- und Frauengruppen, die sich in ihrem Engagement für ein gerechteres und friedlicheres El Salvador auf ihn berufen. Der Geist Romeros inspiriert gerade die ärmsten Menschen weiterhin dazu, an die eigene Würde zu glauben und trotz aller Hindernisse und Schwierigkeiten an einer besseren Zukunft für alle zu arbeiten. Es ist genau diese immer noch spürbare Art von Macht, die nicht erniedrigt und ausschließt, sondern sich verströmt und ansteckt, an ein besseres Leben zu glauben, die die Menschen in El Salvador zu der Überzeugung bringt, dass – wie Ignacio Ellacuría es formuliert hat – „mit Romero Gott durch El Salvador gegangen ist“.

 

Die späte offizielle Anerkennung dessen durch die Kirche würdigt gemeinsam mit Romero auch die tausenden Frauen und Männer in El Salvador, die für ihr christliches Engagement vor und während des Bürgerkriegs ebenfalls mit dem Leben bezahlt haben. Zu Pfingsten kann sie auch als neue Bereitschaft der Kirche gelesen werden, sich für das Wirken des Geistes insbesondere an den „Rändern“ unserer Erde zu öffnen.

 

 

Für nähere Informationen zu Óscar Romero vgl. die deutschsprachige Biographie:

 

Martin Maier, Óscar Romero. Kämpfer für Glaube und Gerechtigkeit, Freiburg im Breisgau u. a.: Herder 2010.

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    Sebastian Pittl

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