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„Ich werde sein, der ich sein werde“

Heilvolle und unheilvolle Konstellationen von Selbstreferentialität: Identitäre Bewegungen und der biblische Gottesname

Das Wiedererstarken nationalistischer und rechtsextremer Gruppierungen und Tendenzen stellt zweifellos eine der wichtigsten Herausforderungen gegenwärtiger europäischer Gesellschaften dar. Eine besonders auffällige Bewegung im Umfeld dieser Dynamik ist die sogenannte „Identitäre Bewegung“. 2012 als „Generation identitaire“ in Frankreich gegründet, hat die Bewegung heute Ableger unter anderem in Deutschland, Österreich, Italien, den Niederlanden, der Schweiz und Tschechien. Mitglieder der „Identitären“ verstehen sich als Teil einer europäischen Jugendbewegung, die sich die Verteidigung bzw. Wiederherstellung „ethnokultureller Identität“ zum Ziel gesetzt hat, unter anderem durch den Stop des derzeitigen „Bevölkerungstauschs“ und „Remigration“. Ausdrücklich gewarnt wird vor der „Islamisierung“ des Abendlandes.
Öffentlichkeit erlangte die „Identitäre Bewegung“ in den letzten Monaten durch gezielte Störaktionen wie man sie traditioneller Weise eher von politisch links orientierten Gruppierungen kennt: Besetzung von Parteizentralen, Unterbrechung von Theateraufführungen und Vorlesungen. In Wien organisierte die Bewegung Anfang Juni eine Demonstration mit knapp 1000 Teilnehmern und Teilnehmerinnen aus ganz Europa.

Für die Analyse der gegenwärtigen Situation von Interesse ist insbesondere der Name der Bewegung, der ein zentrales Motiv der aktuellen Nationalismen auf den Punkt zu bringen scheint. Die Bezeichnung „Identitäre Bewegung“ nennt kein spezifisches inhaltliches Charakteristikum, sondern das Identisch-Sein selbst als unterscheidendes Merkmal. Die Behauptung der Identität tritt an die Stelle ihres Inhalts. Sie reduziert sich im Grunde auf die Formel „Ich bin Ich“ bzw. „Wir sind Wir“. Es ist nur konsequent, dass im von den Identitären propagierten „Ethnopluralismus“ die Vision einer Pluralität von „ethnischen Kollektiven“ entwickelt wird, deren wichtigstes Kriterium darin zu liegen scheint, auf authentische, d. h. hier möglichst homogene und unvermischte Weise sie selbst zu sein. Wie dieses Identisch-Sein jeweils gefüllt wird, bleibt dabei beliebig. Dies zeigt sich beispielhaft in der Fähigkeit identitärer Gruppierungen, Allianzen mit Bewegungen verschiedenster Couleur einzugehen, sofern diese nur bereits sind, bedingungslos sie selbst zu sein. Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass ausgerechnet dort, wo Identität am stärksten behauptet wird, sie vollkommen willkürlich zu werden scheint.

Aus christlicher Perspektive erinnert dieser inhaltliche Leerlauf an die Offenbarung des Gottesnamens in Ex 3,14. Genau an ihm lässt sich aber auch die grundlegende Verschiedenheit von christlicher „Identität“ und der Identitätslogik der „identitären“ Bewegungen deutlich machen.

Das Buch Exodus berichtet, dass Gott die Schreie der in Ägypten unterdrückten Israeliten hört und Mose erwählt, um die Israeliten aus diesem Sklavenhaus hinauszuführen. Mose jedoch misstraut dieser Sendung. Seine Frage, was er den Israeliten sagen soll, wenn sie ihn nach dem Namen des ihn sendenden Gottes fragen, lässt sich als der Wunsch nach einer fixierbaren, ihn absichernden Identität seiner Sendung lesen. Eben diesem Wunsch entzieht sich Gott jedoch, wenn er ihm antwortet: „ähjä aschär ähjä“ – „Ich bin, der ich bin“ bzw. wohl noch treffender: „Ich werde sein, der ich sein werde.“ Diese Formulierung ist auf den ersten Blick strukturanalog zur Identitätsbehauptung der „Identitäten“ Bewegungen. Sie zielt jedoch gerade nicht auf eine Identifikation Gottes, sondern benennt im Gegenteil seine bleibende Entzogenheit. Inhaltliche Bestimmung wird hier nicht intendiert (und verfehlt), sondern abgewiesen (und eben dadurch – freilich auf indirekte Weise – gewonnen). Das unaussprechliche Tetragramm JHWH markiert im hebräischen Text die Unbesetzbarkeit einer Leerstelle als Verweis auf den biblischen Gott.

Es scheint eben diese Dialektik von Gegenwart und gleichzeitigem Entzug zu sein, in der JHWH für sein Volk in heilvoller Weise geschichtlich-konkret präsent zu werden vermag. Das Futur seines Namens verweist auf die Offenheit der Heilsgeschichte, in der sich Gott trotz bzw. gerade auf Grund seiner Entzogenheit als ein heilvolles Da-Sein verheißt. „Ich werde sein, der ich sein werde“ ist in diesem Sinn als trostvolles „Ich werde stets für euch da sein, so wie ich für euch da sein werde“ zu lesen.

Das Vertrauen auf diese Zusage, d. h. der Glaube, ist entscheidend dafür, die Unbestimmbarkeit Gottes (und damit auch des durch den Bezug zu diesem Gott erst konstituierten Volkes Israels) ertragen zu können. Es erlebt die Entzogenheit Gottes nicht als horror vacui – als Panik angesichts eines Identitätsvakuums, das es um jeden Preis zu besetzen gilt –, sondern als heilvolle Eröffnung eines vertrauensvoll zu beschreitenden Wegs in eine unabsehbare Zukunft.

Die Entzogenheit des „Ich werde sein, der ich sein werde“ eröffnet jedoch nicht nur neue Zukunft, sondern auch die Möglichkeit eines neuen, nicht fundamentalistischen Umgangs mit der eigenen Vergangenheit. Moses, ein Hebräer mit ägyptischem Namen, Immigrant der zweiten Generation, der auch noch aus seinem zweiten Heimatland fliehen muss, nachdem er einen Sklavenaufseher erschlägt, ist seiner eigenen Herkunft zutiefst entfremdet, als er auf den brennenden Dornbusch trifft. Weder ganz Ägypter noch ganz Hebräer, ist er das, was man heute eine hybride Existenz nennen würde. Er heiratet, fern von seiner ersten und zweiten Heimat, die Tochter eines midianitischen Priesters und gibt seinem Sohn den bezeichnenden Namen Gershom (Ödgast), denn „ein Fremder bin ich in einem fremden Land geworden“ (Ex 2,22).

„Ich werde sein, der ich sein werde“ sagt sich diesem Entfremdeten als Gott seiner Väter, als Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs, zu und stiftet damit Kontinuität zwischen seinem Heilswirken in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Das Leben Mose erhält durch diese Verortung in einer Geschichte, die vor ihm beginnt und über sein Leben hinausreicht, Bedeutung und Sinn. Die hier konstituierte Genealogie ist freilich alles andere als naturwüchsig. Dies aus folgenden Gründen: 1.) Der Gottesname und das Tetragramm versperren, indem sie die wesenhafte Entzogenheit des biblischen Gottes markieren, jede unmittelbare Identifikation mit dem Gott der Heimat und der Väter. 2.) Der leibhafte Vater Mose spielt in der Erzählung des Exodus konsequenterweise keine Rolle. Die Kontinuität zwischen den „Vätern“ und Mose ist nicht natürlich gegeben, sondern von JHWH neu gestiftet. 3.) Alle drei genannten Erzeltern geben Zeugnis davon, dass Zugehörigkeit zur biblischen Genealogie nur demjenigen möglich ist, der seine Heimat nicht verabsolutiert, sondern bereit ist, sie zu verlassen: Abraham muss die in der Antike sakralen Größen „Land“, „Verwandtschaft“ und „Vaterhaus“ verlassen, um zum Ahnherrn eines neuen Volkes zu werden (Gen 12,1). Isaak erlebt das Drama eines versuchten Mordes durch seinen Vater, dem er nur durch ein Wunder entgeht (Gen 22). Jakob muss aus seinem Vaterhaus fliehen, um nach seinem Betrug an Esau dessen Rache zu entkommen (Gen 27-28). Die biblische Genealogie, in die Mose eingeschrieben wird, liest sich in Vielem wie eine Parodie der heroischen Abstammungserzählungen, wie sie die neuen Nationalismen pflegen. Sie ist die Geschichte von Ab- und Umwegen, Aufbrüchen, Neuanfängen, Fremdheit und Gastfreundschaft. Sie ist die Geschichte der Entdeckung des „Ich werde sein, der ich sein werde“ in den Erfahrungen des Exils und die Erfahrung des Verrats dieses Gottes mitten im „eigenen“ Land (Hos 1,9). Indem „Ich werde sein, der ich sein werde“ Mose in diese Geschichte stellt, eröffnet er ihm die Möglichkeit einer Identität, die sich nicht primär durch Distinktion bestimmt, sondern durch die Wiederaufnahme der abrahamitischen Berufung, zum Segen „für alle Geschlechter der Erde“ zu werden (Gen 12, 3).

 

Die Überlieferung des Gottesnamens verdankt das Christentum seiner jüdischen Wurzel. Es ist wohl kein Zufall, dass die „identitären“ Bewegungen zwar eine Pluralität von Quellen europäischer Identität anerkennen („germanisch-romanisch-slawisches Erbe“, „griechisch-römische Antike“, „christliches Mittelalter“), gerade das jüdische Erbe Europas jedoch verschweigen. Dieses einzufordern, verlangt heute wohl mehr denn je auch die dritte Achse des monotheistischen Überlieferungszusammenhangs in Erinnerung zu rufen: Abraham ist auch der Ahnherr der Muslime.

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    Veronika Maierhofer, Sebastian Pittl

Quellen
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    Dohmen, Christoph, Exodus 1-18 [HThKAT], Freiburg i.Br. u.a. 2015.

  • Y

    Ebach, Jürgen, Gottes Name(n): oder: Wie die Bibel von Gott spricht, in: BiKi 65 (2010) 2, 62-67.

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    Krochmalnik, Daniel, Schriftauslegung. Das Buch Exodus im Judentum [NSK-AT 33,3], Stuttgart 2000.

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