Heilvolle und unheilvolle Konstellationen von Selbstreferentialität: Identitäre Bewegungen und der biblische Gottesname
Für die Analyse der gegenwärtigen Situation von Interesse ist insbesondere der Name der Bewegung, der ein zentrales Motiv der aktuellen Nationalismen auf den Punkt zu bringen scheint. Die Bezeichnung „Identitäre Bewegung“ nennt kein spezifisches inhaltliches Charakteristikum, sondern das Identisch-Sein selbst als unterscheidendes Merkmal. Die Behauptung der Identität tritt an die Stelle ihres Inhalts. Sie reduziert sich im Grunde auf die Formel „Ich bin Ich“ bzw. „Wir sind Wir“. Es ist nur konsequent, dass im von den Identitären propagierten „Ethnopluralismus“ die Vision einer Pluralität von „ethnischen Kollektiven“ entwickelt wird, deren wichtigstes Kriterium darin zu liegen scheint, auf authentische, d. h. hier möglichst homogene und unvermischte Weise sie selbst zu sein. Wie dieses Identisch-Sein jeweils gefüllt wird, bleibt dabei beliebig. Dies zeigt sich beispielhaft in der Fähigkeit identitärer Gruppierungen, Allianzen mit Bewegungen verschiedenster Couleur einzugehen, sofern diese nur bereits sind, bedingungslos sie selbst zu sein. Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass ausgerechnet dort, wo Identität am stärksten behauptet wird, sie vollkommen willkürlich zu werden scheint.
Aus christlicher Perspektive erinnert dieser inhaltliche Leerlauf an die Offenbarung des Gottesnamens in Ex 3,14. Genau an ihm lässt sich aber auch die grundlegende Verschiedenheit von christlicher „Identität“ und der Identitätslogik der „identitären“ Bewegungen deutlich machen.
Es scheint eben diese Dialektik von Gegenwart und gleichzeitigem Entzug zu sein, in der JHWH für sein Volk in heilvoller Weise geschichtlich-konkret präsent zu werden vermag. Das Futur seines Namens verweist auf die Offenheit der Heilsgeschichte, in der sich Gott trotz bzw. gerade auf Grund seiner Entzogenheit als ein heilvolles Da-Sein verheißt. „Ich werde sein, der ich sein werde“ ist in diesem Sinn als trostvolles „Ich werde stets für euch da sein, so wie ich für euch da sein werde“ zu lesen.
Das Vertrauen auf diese Zusage, d. h. der Glaube, ist entscheidend dafür, die Unbestimmbarkeit Gottes (und damit auch des durch den Bezug zu diesem Gott erst konstituierten Volkes Israels) ertragen zu können. Es erlebt die Entzogenheit Gottes nicht als horror vacui – als Panik angesichts eines Identitätsvakuums, das es um jeden Preis zu besetzen gilt –, sondern als heilvolle Eröffnung eines vertrauensvoll zu beschreitenden Wegs in eine unabsehbare Zukunft.
Die Entzogenheit des „Ich werde sein, der ich sein werde“ eröffnet jedoch nicht nur neue Zukunft, sondern auch die Möglichkeit eines neuen, nicht fundamentalistischen Umgangs mit der eigenen Vergangenheit. Moses, ein Hebräer mit ägyptischem Namen, Immigrant der zweiten Generation, der auch noch aus seinem zweiten Heimatland fliehen muss, nachdem er einen Sklavenaufseher erschlägt, ist seiner eigenen Herkunft zutiefst entfremdet, als er auf den brennenden Dornbusch trifft. Weder ganz Ägypter noch ganz Hebräer, ist er das, was man heute eine hybride Existenz nennen würde. Er heiratet, fern von seiner ersten und zweiten Heimat, die Tochter eines midianitischen Priesters und gibt seinem Sohn den bezeichnenden Namen Gershom (Ödgast), denn „ein Fremder bin ich in einem fremden Land geworden“ (Ex 2,22).
Die Überlieferung des Gottesnamens verdankt das Christentum seiner jüdischen Wurzel. Es ist wohl kein Zufall, dass die „identitären“ Bewegungen zwar eine Pluralität von Quellen europäischer Identität anerkennen („germanisch-romanisch-slawisches Erbe“, „griechisch-römische Antike“, „christliches Mittelalter“), gerade das jüdische Erbe Europas jedoch verschweigen. Dieses einzufordern, verlangt heute wohl mehr denn je auch die dritte Achse des monotheistischen Überlieferungszusammenhangs in Erinnerung zu rufen: Abraham ist auch der Ahnherr der Muslime.
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Veronika Maierhofer, Sebastian Pittl
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Dohmen, Christoph, Exodus 1-18 [HThKAT], Freiburg i.Br. u.a. 2015.
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Ebach, Jürgen, Gottes Name(n): oder: Wie die Bibel von Gott spricht, in: BiKi 65 (2010) 2, 62-67.
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Krochmalnik, Daniel, Schriftauslegung. Das Buch Exodus im Judentum [NSK-AT 33,3], Stuttgart 2000.