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Religionsfreiheit – gefährdetes Menschenrecht?

IIMF-Jahrestagung in Mainz

Am 7. und 8. Dezember fand die gemeinsam vom Institut für Weltkirche und Mission (IWM) und dem Internationalen Institut für missionswissenschaftliche Forschungen (IIMF) organisierte Tagung zum Thema „Religionsfreiheit – gefährdetes Menschenrecht?“ statt.
Podiumsdiskussion mit: Katja Nikles, Ҫefli Ademi, Heiner Bielefeldt, Marianne Heimbach-Steins und Michael Huhn; Moderation: Mariano Delgado | © Klaus Vellguth
Nach der Begrüßung durch Prof. Dr. mult. Klaus Vellguth (IIMF), P. Dr. Markus Luber (IWM) und Dr. Martin Belz (Erbacher Hof) eröffnete P. Luber den ersten Teil der Tagung unter dem Motto „Universalität von Relgionsfreiheit“.

 

Prof. Dr. Dr. h.c. Hans Maier, Bayerischer Kultusminister a.D. begann seinen Vortrag „Die katholische Kirche und die Religionsfreiheit“ mit der Verortung des Rechts auf Religionsfreiheit innerhalb der Freiheitsrechte im Allgemeinen, wie sie in der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte von 1789 formuliert worden waren. Dabei handle es sich ausnahmslos um individuelle und nicht um ständische, um angeborene und nicht erzeugbare oder verleihbare Rechte, um Anspruchsrechte gegenüber dem Staat. Die ersten Reaktionen der katholischen Kirche auf diese Deklarationen waren durchgehend ablehnend und negativ, weil man in den formulierten Ansprüchen eine Auflehnung gegen den Gott geschuldeten Gehorsam sah. Erst mit Papst Leo XIII tritt eine neue Haltung zutage, die sich im Streben nach einer zeitgerechten Sozial- und Staatslehre niederschlägt. In Bezug auf die Religionsfreiheit sei jedoch auch er intransigent geblieben. Eine tatsächliche Wende sei erst mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil gekommen. Sie liege unter anderem in einer Hinwendung zum angelsächsischen Demokratieverständnis begründet, womit die lang anhaltende Aversion gegenüber dem französisch-jakobinischen Demokratieentwurf überwunden worden sei. Ein drängendes Problem bestehe gegenwärtig vorallem in Bezug auf das mit dem Recht auf Religionsfreiheit implizit verbriefte Recht auf Konversionsfreiheit. Während das Erstwahlrecht in Sachen Religion weithin geschützt sei, verhalte es sich keineswegs so beim Wechsel von einer Religion zur anderen – doch gerade in einer immer pluraler werdenden Gesellschaft sei dieser Schutz enorm wichtig. Es bedürfe daher einer Fortentwicklung des Rechts auf Religionsfreiheit, um auf die neuen Herausforderungen in einer pluralen Gesellschaft zu reagieren.

 

Der Jurist und Islamwissenschaftler Dr. Ҫefli Ademi, der einen Ruf der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster auf eine ordentliche Professur für „Islamische Normenlehre“ (demnächst „Islamische Rechtswissenschaft, Rechtsvergleichung und Verfassungsethik“) erhalten hat und noch in diesem Jahr ernannt werden wird, begann seine Ausführungen mit dem Hinweis auf notwendige Differenzierungen beim Außenblick auf den Islam. So existiere nicht „der Islam“ oder „die Scharia“. Die einfache Unterscheidung nach dem Schema „Europa = Menschenrechte“, „Islam = Scharia“ sei irreführend und werde der Vielfalt im Islam nicht gerecht. Entgegen einer verbreiteten Annahme sei die Scharia auch kein kodifiziertes Gesetzbuch, sondern vielmehr eine umfangreiche Sammlung verschiedener Texte aus Vergangenheit und Gegenwart mit weiteren Entwicklungsmöglichkeiten in der Zukunft. Richtig sei, dass es im Islam kein der katholischen Kirche vergleichbares Lehramt gebe, das für alle verbindliche Aussagen treffe. Ademi war bemüht, seine für den Dialog offene Position als einen Standpunkt darzustellen, der in der islamischen Welt entgegen dem Anschein breite Zustimmung finde. Die Muslime verstünden sich als eine Gemeinschaft der Mitte (Sure 2, Vers 143). Der Mensch sei im Kern ein spirituelles Wesen. Das höchste Ziel des Islam liege daher in der moralisch-spirituellen Vervollkommnung des Menschen. In Anknüpfung an seinen Vorredner ging Ademi schließlich auf die Frage der Konversionsfreiheit ein. Er legte dar, dass es im Islam verschiedene Kriterien für die Auslegung von Texten gebe. Ein wichtiges Kriterium sei die Unterscheidung zwischen Einfachüberlieferung und Mehrfachüberlieferung. Bei der Todesstrafe für Apostasie handle es sich um eine Einfachüberlieferung und damit um keinen absoluten, sondern um einen zu relativierenden, nicht zwingenden Auftrag. Dass Gott das Leben schützen wolle, sei hingegen mehrfach überliefert und habe daher größeres Gewicht.

 

Prof. Dr. Dr. h.c. Heiner Bielefeldt vom Institut für Politische Wissenschaft in Erlangen-Nürnberg machte gleich zu Beginn seines Vortrags auf Spannungen aufmerksam, die im Zusammenhang mit dem Recht auf Religionsfreiheit aufträten. Obgleich Religionsfreiheit selbst ein Menschenrecht sei, werde sie nicht selten als ein konkurrierendes Gegenüber zu letzteren wahrgenommen. So bestehe eine verbreitete Angst, es handle sich bei der Religionsfreiheit um eine Art trojanisches Pferd, das sich in die Menschenrechte eingeschlichen habe und die darin grundgelegten Emanzipationsbestrebungen untergrabe. Häufig begegne man der vorgefassten Meinung, Religion und Freiheit passten nicht zusammen. Der Trugschluss bestehe darin, dass hier Religionsfreiheit als Schutz eines kollektiven ethnischen Merkmals missverstanden werde. Zuweilen verberge sich hinter dieser Haltung jedoch auch eine bewusste Strategie, die dazu diene, das Recht auf Religionsfreiheit zu bekämpfen. Faktisch handle es sich bei der Religionsfreiheit um ein klassisches liberales Recht und gerade nicht um ein Identitätsschutzgesetz für Kollektive. Die Religionsfreiheit folge ganz und gar der Logik der übrigen Menschenrechte und habe innerhalb dieses Kanons eine unverzichtbare Aufgabe. So sei sie ein Recht aller Menschen, ein Recht der Kritiker und der Zweifelnden ebenso wie der Frommen. Denn im Recht auf Religionsfreiheit sei die Gewissensfreiheit eingeschlossen. Der Prüfstein, ob es sich um Identitätsschutz oder um ein echtes Freiheitsrecht handle, bestehe in der Frage der Konversionsfreiheit und damit in der Möglichkeit zum Glaubenswechsel. Bielefeldt schloss seine Ausführungen mit einem Plädoyer für einen engagierten Einsatz für den Erhalt und die Weiterentwicklung des Rechts auf Religionsfreiheit („mit klarem Kopf und heißem Herzen“), denn ohne Religionsfreiheit als einem wesentlichen Freiheitsrecht verlören die Menschenrechte ihre Humanität und würden damit ausgehölt und sinnlos.

 

In der anschließenden Diskussion verwies Bielefeldt auf die grundsätzliche Brüchigkeit von institutionalisierten Errungenschaften wie den Menschenrechten und rief nachdrücklich dazu auf, deren Schutz nicht allein Richtern und Gerichten zu überlassen, sondern persönlich aktiv für ihren Erhalt und ihre Umsetzung einzustehen. Ademi ging auf ein Problem ein, das mit der Kolonialisierung in Zusammenhang stehe: die Verstaatlichung des islamischen Rechts, die auf verhängnisvolle Weise dazu geführt habe, dass der Glaubensabfall als Hochverrat ausgelegt werden und somit nun auch aus diesem Grund mit der Todesstrafe belegt werden könne. Auf die Frage nach Anhaltspunkten für eine reale Intention der Islamisierung Europas antwortete Maier, dass es sich hierbei in seinen Augen um eine nicht fundierte Verschwörungstheorie handle, die an historische Erfahrungen (Türken vor Wien) anzuknüpfen versuche, aber der heutigen Situation keineswegs gerecht werde. Bielefeldt unterstrich an dieser Stelle, dass das Recht auf Religionsfreiheit für Christen und Muslime gleichermaßen das Recht auf Mission im Sinne des Werbens für die eigene Religion einschließe. Dieses Werben dürfe nicht mit Eroberungsabsichten aus vergangenen Jahrhunderten gleichgesetzt werden.

 

 


Im zweiten Teil der Tagung wurde die Religionsfreiheit in spezifischen regionalen Kontexten beleuchtet. Aufgrund von Schwierigkeiten bei der Anreise musste der geplante Vortrag von Prof. Dr. Samir Khalil Samir von der Universität Saint Joseph in Beirut leider entfallen.

 

Den Auftakt machte daher der Adveniat-Mitarbeiter Michael Huhn mit seinen Ausführungen zu den historischen Entwicklungen bezüglich der Religionsfreiheit auf Kuba. Während die Kirche unter dem 1961 errichteten totalitären Regime einer Herrschaft der Willkür ausgesetzt gewesen sei und sich die Christen noch nicht einmal vor Bespitzelungen aus den eigenen Reihen hätten sicher sein können, habe sich die Situation infolge des Zusammenbruchs der Sowjetunion 1991 ein wenig entspannt. Kuba sei zu einem säkularen Staat geworten. Doch die lange Diktatur habe auch in der Kirche Verwerfungen und die Uneinigkeit der Bischöfe hervorgerufen. Mit dem Besuch von Johannes Paul II 1998 sei das Selbstbewusstsein der Katholiken wieder angestiegen, sogar Besuche in den Gefängnissen seien ermöglicht worden, die bis dato undenkbar gewesen seien. Trotz allen Erleichterungen sei die Religionsfreiheit auf Kuba jedoch bis heute gefährdet. Die Revolution dürfe nicht kritisiert werden, Korruption und Schikanen hielten an, obwohl sich die rechtliche Situation verbessert habe. Eine Wertschätzung kirchlicher Arbeit bestehe in deren Engagement bei Bildung, Katastrophenschutz und Caritas. Die lange Zurückdrängung der Kirche aus dem öffentlichen Bereich habe dazu beigetragen, dass die Rolle der Laien im kirchlichen Leben an Gewicht gewonnen habe.

 

Prof. Dr. Marianne Heimbach-Steins vom Institut für Christliche Sozialwissenschaften in Münster analysierte die Entwicklungen rund um die Religionsfreiheit in Deutschland seit dem Inkrafttreten des Grundgesetzes. Hierbei sei neben der zunehmenden Entkirchlichung vor allem eine Pluralisierung der religiösen Landschaft zu verzeichnen, die zu neuen Fragen in dieser Sache führe. So werde wiederholt die Frage aufgeworfen, wie mit religiösen Symbolen wie Kreuz oder Kopftuch im öffentlichen Raum umzugehen sei und wer die Deutungshoheit darüber beanspruchen dürfe. Ein weiteres kritisches Thema sei die identitätspolitische Beanspruchung von Religionsfreiheit, wie sie in bestimmten Bewegungen und Parteien zutage trete. Hier werde das Christentum zur Abgrenzung gegenüber dem Islam selektiv vereinnahmt und für die Legitimierung einer deutschen Leitkultur instrumentalisiert. Wir stünden heute vor der wichtigen Frage, wie mit dem individuellen Recht auf Religionsfreiheit in einer pluralen Gesellschaft umzugehen sei. Weder die Wahrnehmung von Religion als Hindernis für die soziale Kohäsion und die entsprechende Zurückdrängung in den privaten Bereich noch eine unentschiedene Toleranzhaltung würden dem Geist des Rechts auf Religionsfreiheit gerecht. Vielmehr müsse es darum gehen, das humanisierende Potenzial der Religionen zu würdigen und sie zugleich an diesen ihnen eignenden Idealen zu messen. Solches könne nur geschehen, wenn der Staat seine Rolle als Garant für die Entfaltung von Religion und Konflikt im öffentlichen Raum wahrnehme.

 

Abschließend referierte Katja Nikles von missio Aachen über das Engagement des kirchlichen Hilfswerkes für Religionsfreiheit. Im Anschluss an ein Zitat des Bamberger Erzbischofs Ludwig Schick betonte sie, das Engagement von missio für Christen sei nicht exklusiv, sondern exemplarisch. Tatsächlich seien die Christen weltweit am stärksten von der Missachtung des Rechts auf Religionsfreiheit betroffen. Das Engagement des kirchlichen Hilfswerks basiere vornehmlich auf vier Pfeilern: Die Veranstaltung von Konferenzen zu Situation der Kirchen und der Christen in den jeweiligen Ländern; die Organisation von Netzwerktreffen für den Austausch unter Experten; regelmäßige, von Experten verfasste Länderberichte zu Fragen der Religionsfreiheit; Petitionen sowie öffentlichkeitswirksame Aktionen und Kooperationen.

 

In der verbleibenden Zeit vor der Mittagspause stellten drei Doktorandinnen ihre Forschungsprojekte vor. Darunter war auch ein Beitrag der IWM-Mitarbeiterin Schw. Dr. Christiana Idika zur kirchlichen Bildung im Dienst der ganzheitlichen Entwicklung im Kontext Afrikas.

 

Ein von Prof. Dr. Dr. Mariano Delgado moderiertes Podium mit Cefli Ademi, Heiner Bielefeldt, Marianne Heimbach-Steins, Michael Huhn und Katja Nikles rundete die Veranstaltung ab. Hervorgehoben wurden darin die Notwendigkeit einer kontinuierlichen Sensibilisierungsarbeit gegenüber säkularen Akteuren sowie gegenüber der Politik (Bielefeldt). Marianne Heimbach-Steins unterstrich die Bedeutung des Zweiten Vatikanischen Konzils in Sachen Religionsfreiheit, die auf der Ebene des Bewusstseins noch längst nicht eingeholt sei. Ademi stellte unter Verweis auf historische Beispiele einen wechselseitigen Lernprozess zwischen Islam und Christentum in Aussicht. Bielefeldt bestätigte auf eine entsprechende Anfrage, dass das Recht auf Religionsfreiheit wie auch die Menschenrechte im Allgemeinen eine subversive Kraft besäßen, die eine Gefahr für autokratische Regime impliziere. Heimbach-Steins ergänzte, dass die Religionsfreiheit im Sinne einer Selbstverpflichtung auch eine Zumutung nach innen – also für die Verfechter der Religionsfreiheit selbst – mit sich bringe. Die Frage, ob es auch Grenzen der Religionsfreiheit gebe, wurde einhellig verneint. Die Beweislast liege auf der Seite dessen, der das Recht auf Religionsfreiheit einzuschränken gedenke, so Bielefeldt.

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    Tobias Keßler

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