Silence, der lang erwartete neue Film des renommierten Regisseurs Martin Scorsese ist seit dieser Woche nun auch in den deutschen Kinos zu sehen.
Shusaku Endo wurde am 27. März 1923 in Tokyo geboren. Er war der Sohn eines Bankmanagers und einer Violinistin. Nur 69 Jahre zuvor hatte die sogenannte Kanonenbootpolitik der Amerikaner die Öffnung des Landes erzwungen. 1868 folgte im Zuge der Meiji-Restauration die Wiedereinsetzung des Kaisers, die zugleich den Anfangspunkt einer systematischen Modernisierung des Landes markiert. Die folgenden Jahre waren gekennzeichnet durch umfassende staatliche, wirtschaftliche und kulturelle Reformen, die die japanische Gesellschaft von Grund auf veränderten. Drei Jahre nach seiner Geburt zog die Familie nach Dairen, eine Stadt im sogenannten Pachtgebiet Kwantung auf der chinesischen Halbinsel Liaodong, das sich seit dem Russisch-Japanischen Krieg (1904–1905) in japanischem Besitz befand. 1934 lassen sich seine Eltern scheiden und Endo kehrt zusammen mit seiner Mutter nach Japan zurück. Dort wendet sich die Mutter dem katholischen Glauben zu. Zur gleichen Zeit beginnt die japanische Regierung ihre aggressive Expansionspolitik in Ostasien. Mit 11 Jahren wird auch Endo getauft. Rückblickend wird er dieses Ereignis als etwas beschreiben, dass ihm mehr geschah, als dass er sich aktiv dafür entschied. Er vergleicht seine Taufe mit einer arrangierten Ehe. Die Braut habe seine Mutter für ihn gewählt. Der Glaube ist ihm fremd. Er fühlt sich wie in einen Anzug von der Stange, geschneidert nach westlichem Schnitt, der seinem japanischen Körper nicht richtig passen will. Nach seinem Studium der französischen Literatur an der Keio Universität in Tokyo reist Endo 1950 nach Frankreich. In Lyon möchte er sich dem Studium katholischer Schriftsteller widmen. Auf seiner Reise über Manila und Singapur nach Frankreich muss er erleben, dass man ihm außerhalb von Japan als Kriegsverbrecher begegnet. Die Tokioter Prozesse (1946–1948) waren erst zwei Jahre zuvor zu Ende gegangen. In Frankreich, so schreibt er später, wird er sich, gebrochen im Blick des weißen Mannes, seines eigenen Gelbseins gewahr. Die Erlebnisse verarbeitet er später in dem Roman Aden Made (1954), der deutliche Spuren seiner Auseinandersetzung mit dem damals noch weitgehend unbekannten Frantz Fanon zeigt. Dessen Buch Schwarze Haut, Weiße Masken war 1952 erschienen.
Als Endo 1953 nach Japan zurückkehrt, ist er zu der Überzeugung gelangt, dass das, was er als westliche Kultur auf der einen Seite und japanische Kultur auf der anderen Seite begreift, unvereinbar ist. Auch gelangt er im christlich geprägten Frankreich zu der Erkenntnis, dass das Christentum für ihn zwar dem Grundsatz nach universell, de facto aber westlich geprägt ist. Dergestalt aber, das heißt westlich geprägt, muss das Christentum den Japanern, genauso wie sein eigener Glaube ihm selbst fremd bleiben. Sein Bemühen, das zu ändern, das heißt den westlichen Anzug des Christentums in einen japanischen Kimono zu verwandeln, zieht sich fortan wie ein roter Faden durch Endos Arbeiten. 1990, sechs Jahre vor seinem Tod und 25 Jahre nach dem Ende des Zweiten Vatikanischen Konzils, beschreibt er seine Bemühungen um ein japanisches Christentum als ein Ringen um Inkulturation.
Schweigen, der Roman Endos, den Scorsese nun verfilmt hat, ist 1966 erschienen. Für viele ist er ein entscheidender Wendepunkt in Endos Ringen um ein inkulturiertes Christentum. Dreh- und Angelpunkt ist für ihn dabei die Gottesvorstellung selbst. Das Bild eines (ver-)urteilenden Gottvaters, das in Japan durch die westlichen Missionare verbreitet worden sei, sei der japanischen Kultur fremd. Mit einem solchen Gottvater, der von den verfolgten Christen den heroischen Märtyrertod fordert, gerät auch Sebastião, die Hauptfigur von Endos Roman, mehr und mehr in Konflikt. Und während Sebastião noch mit diesem Gott ringt, überlagert sich das Bild des Gottvaters zunehmend mit dem des gebrochenen Jesus, der mitleidet mit denen, die leiden, der alles auf-, ja sich selbst hingibt für die Menschen. Ein mütterlich liebender Gott, der die Menschen selbst im Verrat nicht verlässt. Und so ist ganz am Ende des Romans auch das Krähen eines Hahnes zu hören. Die Entdeckung dieser mütterlichen Seite Gottes ist für Endo ein Schlüssel, der das Christentum für die japanische Kultur anschlussfähig macht. 1974 schreibt er dazu in einem Essay mit dem Titel „The Anguish of an Alien“: „I began to feel that the gulf I had long felt between Christianity and me was due to the European overemphasis on the paternal aspect of religion. Christianity seemed to distant to us Japanese because the other aspect, maternal religion, had been grossly neglected from the time of early Christian missionaries down to the present.“
Zeit seines Lebens rang Endo darum, sein Dasein als Christ, als Schriftsteller und als Japaner in Einklang zu bringen. Vielleicht gerade deshalb wurden seine Arbeiten auch innerhalb der Missionswissenschaft immer wieder aufgegriffen. Auf der Weltmissionskonferenz in Bangkok 1973 zum Beispiel soll Schweigen der Gegenstand zahlreicher, auch kritischer Diskussionen gewesen sein. Und tatsächlich wirft Endos Roman viele Fragen auf: Aus welchen, vielleicht auch problematischen Vorstellungen über die ideale Stellung und Rolle der Frau speist sich Endos Vorstellung von einem mütterlichen Gott? Handelt es sich dabei vielleicht sogar um einen spezifisch männlichen Blick auf Gott als Mutter? Wo zeigen sich in Endos Fantasie eines christlichen Westens und einer östlichen japanischen Kultur Dynamiken der Selbst-Orientalisierung? Endo selbst wollte sich Zeit seines Lebens vor allem als Schriftsteller verstanden wissen. Theologie und Literatur sind für ihn zwei verschiedene, sich ergänzende Bereiche. Viele seiner Werke tragen autobiographische Züge. Am 29. September 1996 verstarb Shusaku Endo im Alter von 73 Jahren in Tokyo. Er gilt als einer der wichtigsten japanischen Schriftsteller der Nachkriegszeit. Neben Schweigen hat er im Laufe seines Lebens noch unzählige weitere Werke verfasst und wurde mit zahlreichen Preisen geehrt. 1971 verlieh im Papst Paul VI. den Silvesterorden für besondere Verdienste um die römisch-katholische Kirche. Scorseses Verfilmung könnte ein guter Anlass sein, um auch den Schriftsteller Shusaku Endo neu zu entdecken.
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Esther Berg
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