Kann denn aus Nazaret etwas Gutes kommen?
Perichoretisch-kenotische Entgrenzung als Paradigma des Verhältnisses zwischen zugewanderten und einheimischen Katholiken
Teil I problematisiert die unhinterfragte Übernahme der Rede von Integration als erstrebenswertem Ziel der binnenkirchlichen Beziehung zwischen Zuwanderern und Einheimischen in Gesellschaft und Kirche sowie die damit einhergehende, stillschweigende Gleichsetzung von Integration mit Communio im binnenkirchlichen Kontext. Der Autor kommt zum Ergebnis, dass es sich hierbei letztlich um zwei gegenläufige Größen handelt. Während Communio eine zentrifugale Dynamik beschreibt, folgen die öffentlich-politischen Integrationsbestrebungen im Sinne der Maxime des Förderns und Forderns einer zentripetalen Logik, welche ihrerseits die Skepsis zahlreicher Zuwanderer gegenüber dem Integrationsdiskurs erklärt. Eine empirische Sondierung im binnenkirchlichen Bereich untermauert die gewonnenen Einsichten und veranlasst den Verfasser zu seiner Empfehlung, für die binnenkirchliche Verhältnisbestimmung von Zuwanderern und Einheimischen auf die Semantik der Integration zu verzichten.
Vor dem Hintergrund dieser Diagnose fragt der dritte Teil der Monografie schließlich danach, was mit Blick auf die Vision eines in pfingstlicher Einheit in der Vielfalt gelebten Miteinanders von einheimischen und zugewanderten Katholikinnen und Katholiken aus theologischer Sicht nottut. Anhand einer trinitarisch-ekklesiologischen Zusammenschau im Anschluss an das Zweite Vatikanische Konzil gelangt der Verfasser zu dem Ergebnis, dass die Kirche, um ihrem Auftrag angesichts migrationsbedingter Pluralisierung gerecht zu werden, von einer Dynamik geprägt sein muss, die sich als perichoretisch-kenotische Entgrenzung beschreiben lässt. Communio bezeichnet in diesem Zusammenhang das in der Spannung zwischen geschichtlicher Unvollkommenheit und eschatologischer Fülle stehende stets fragile Ergebnis eines unablässigen Ringens um die Vermittlung von Einheit und Vielfalt, das sich in einer durch und durch kenotisch geprägten Missio vollzieht. Im Kontext von Migration und Flucht erweist sich diese missionarische Entäußerung vornehmlich als Entgrenzung zum Fremden, die im binnenkirchlichen Kontext aufgrund des gemeinsamen Bekenntnisses als reziprokes Geschehen zwischen Zuwanderern und Einheimischen zu begreifen ist. Die vielfältigen, mit der Migrationserfahrung einhergehenden Verluste auf Seiten der Zuwanderer sind hierbei als bereits erbrachte Entäußerungsleistung zu würdigen, so dass in Sachen Entgrenzung zunächst vor allem seitens der Etablierten ein Nachholbedarf besteht.
Die Monografie schließt mit einer Reflexion zur Erzählung des Buches Rut. Tatsächlich erweist sich die Geschichte der moabitischen Migrantin als Symbol für die zentrale Botschaft der Dissertation, denn: „Erst in einem wechselseitig kenotischen Zusammenspiel von einheimischen und zugewanderten Gläubigen, das die Differenzen und die je unterschiedlichen Rollen in Gottes Heilsplan wertschätzend anerkennt und würdigt, kann das gottgemäße Neue entstehen, das die Kirche als Werkzeug zum Zeichen und Sakrament ‚für die innigste Vereinigung mit Gott wie für die Einheit der ganzen Menschheit‘ (LG 1) werden lässt“ (S. 277).
Erklärter Hauptadressat der Arbeit ist das deutsche Segment der hiesigen Partikularkirche. Auch Theologen, die sich mit Migration und Flucht als einem Zeichen der Zeit auseinandersetzen oder in die laufenden Überlegungen zu einer Theologie der Migration involviert sind, werden die Dissertation mit Gewinn lesen. Lohnenswert ist die Lektüre der Monografie zudem für all jene, die im Bereich der Migrantenseelsorge arbeiten oder sich dafür interessieren.
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Tobias Keßler