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Kirche und Politik

Ein Kommentar

Nach den vergangenen Wahlen in Frankreich und den Niederlanden herrscht ein wenig Erleichterung in Europa: Die populistischen Parteien konnten die Wahlen nicht für sich entscheiden. Auch in Deutschland scheinen die neuesten Umfragen zu zeigen, dass national-identitäre Parteien an Zustimmung verlieren. Doch die jüngsten Ergebnisse können nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich in den letzten Monaten und Jahren ein tiefer Graben innerhalb der europäischen Gesellschaft aufgetan hat und es ein massives Erstarken rechter nationaler Gruppierungen und Parteien gibt.

Stark vereinfacht und idealisiert stehen sich hierbei auf der einen Seite Menschen gegenüber, die für freiheitliche, tolerante und weltoffene Nationalstaaten in einem geeinten Europa stehen und auf der anderen Seite Menschen, die für Abschottung, starke nationale Identität und Islamkritik stehen. Auch wenn es in der Vergangenheit schon oft Europa- und Islam-Kritik gab, so traten die gesellschaftlichen Spannungen in ihrer Heftigkeit wohl erst mit den hohen Flüchtlingszahlen und der Politik der offenen Grenzen der Bundesregierung auf.

Es dürfte wenig überraschend sein, dass sich dieser Graben auch innerhalb der katholischen Kirche zeigt. Verschiedene Bischöfe und Kardinäle in Deutschland haben ihre Stimme erhoben, um dem Populismus und Nationalismus die Stirn zu bieten und haben für eine Politik der Vernunft, Offenheit und Barmherzigkeit plädiert. Sie wissen sich dabei in Gemeinschaft mit Papst Franziskus, dessen Äußerungen ebenso unmissverständlich sind. Traditionellen oder konservativen katholischen Gruppierungen – sofern man dieses Etikett benutzen möchte – sind solche Äußerungen ein Dorn im Auge. Analysiert man deren Argumentation so lassen sich zwei Hauptargumentationsstränge der Kritik feststellen:

 

  1. Verschiedentlich wird darauf verwiesen, dass die Kirche – vornehmlich ihre amtskirchlichen Repräsentanten – keine Äußerungen zur Politik tätigen sollte. Mit Verweis auf das Diktum der „Entweltlichung“ der Kirche von Benedikt XVI. und den biblischen Missionsbefehl nach Mt 28,19-20 solle die Kirche allein das Evangelium verkünden, die Sakramente spenden und die Menschen im Glauben unterrichten.
  2. Für andere dürfen sich kirchliche Repräsentanten zwar zu politischen Debatten äußern, aber sie tun es in falscher Weise. Anstatt sich beispielsweise in die Flüchtlingsdebatte einzumischen, sollten sie eher gegen die sogenannte Gender-Ideologie vorgehen und sich stärker im Lebensschutz (der ungeborenen Menschen) engagieren, da diese ein unzweifelhaftes Fundament im christlichen Glauben haben.

Beide Positionen sind mit Problemen behaftet. Es ist das große Verdienst der Soziallehre der Kirche erkannt zu haben, dass das moralische Herzstück des Evangeliums – das Doppelgebot der Liebe – nicht nur eine gegenseitige Verwiesenheit von Gottes- und Nächstenliebe bedeutet, sondern auch, dass sich die Nächstenliebe nicht allein in tätigen Werken der Nächstenliebe erschöpfen kann und ebenso einen Einsatz in Politik, Wirtschaft etc. verlangt. Und so schreibt die Kirche im Kompendium der Soziallehre der Kirche: „Denn das Wort des Evangeliums soll nicht nur gehört, sondern in die Tat umgesetzt werden (vgl. Mt 7, 24; Lk 6, 46–47; Joh 14, 21.23–24; Jak 1, 22): die Glaubenstreue äußert sich in einem in sich stimmigen Verhalten, das nicht auf das im engeren Sinne kirchliche oder spirituelle Umfeld beschränkt ist, sondern alle Lebens- und Verantwortungsbereiche des Menschen miteinbezieht. Auch wenn diese weltlicher Natur sind, haben sie doch den Menschen zum Gegenstand – und damit den, den Gott durch die Kirche dazu beruft, an seinem Heilsgeschenk teilzuhaben. Auf das Geschenk des Heils soll der Mensch nicht mit einer partiellen, abstrakten oder verbalen Zustimmung, sondern mit seinem ganzen Leben und allen Beziehungen, die es prägen, reagieren und nichts einem profanen und weltlichen, nicht heilsrelevanten oder dem Heil fern stehenden Bereich überlassen. Deshalb ist die Soziallehre für die Kirche kein Privileg, keine Extravaganz, keine besondere Gunst und auch keine Einmischung: es ist ihr Recht, den sozialen Bereich zu evangelisieren, das heißt, dem befreienden Wort des Evangeliums in der vielschichtigen Welt der Produktion, der Arbeit, des Unternehmertums, der Finanzen, des Handels, der Politik, der Rechtsprechung, der Kultur und der sozialen Kommunikation, in der der Mensch lebt, Gehör zu verschaffen.“ (Nr. 70)

 

Es ist daher nicht möglich, das Evangelium zu verkünden und gleichzeitig zu gesellschaftlichen, politischen, wirtschaftlichen … Missständen zu schweigen. Die Kirche ist durch das Evangelium verpflichtet, „allen Menschen einen Humanismus vor Augen stellen, der dem entspricht, was die Liebe Gottes für die Geschichte plant, einen umfassenden und solidarischen Humanismus, der geeignet ist, eine neue gesellschaftliche, wirtschaftliche und politische Ordnung herbeizuführen, die sich auf die Würde und Freiheit jeder menschlichen Person gründet und in Frieden, Gerechtigkeit und Solidarität realisiert werden muss.“ (Kompendium der Soziallehre der Kirche, Nr. 18). Nebenbei bemerkt: An das Pontifikat des heiligen Johannes Paul II. lässt sich nur schwerlich denken, ohne sein gewaltiges politisches Engagement…

 

Über die zweite Position ließe sich natürlich streiten. Natürlich ist der Lebensschutz ein hoher Wert, der verteidigt werden muss. Aber er darf nicht in dem Sinn verabsolutiert werden, dass alle anderen Handlungen und Werte diesem gegenüber sekundär werden. Man kann die Präsidentschaft von Donald Trump nicht nur deswegen vor Kritik immunisieren, weil er „Pro-Life“-Entscheidungen gefällt hat. Hier trifft man auf eine perfide Form des „Der Zweck heiligt die Mittel“-Arguments. Solange man sich nur für den Lebensschutz engagiert, ist der Weg dorthin und alle andere Taten offenbar egal. Eine Partei wie die AfD müsse nur ein paar familienfreundliche und abtreibungsfeindliche Äußerungen tätigen und schon solle sie für Christinnen und Christen wählbar sein. Hier findet eine Absolutierung eines Wertes statt, der eine weit größere ethische Relativierung zur Folge hat, als es viele konservative Gläubige progressiven Gläubigen vorwerfen. Lässt sich tatsächlich der Lebensschutz ungeborener Menschen gegen den Lebensschutz von Flüchtlingen auf dem Mittelmeer ausspielen? Wenn Auszug, Befreiung, Fremdheit zu den Grundelementen des israelitischen Volks zählen und sie den Auszug ins gelobte Land untrennbar mit Gottes Heilshandeln verknüpfen, wie lässt sich dann Hass und Ablehnung gegenüber Flüchtlingen rechtfertigen?

 

Es sind gewiss Zeiten wie diese, die Christinnen und Christen, Theologinnen und Theologen und nicht zu Letzt Bischöfe dazu auffordern, je neu über den Auftrag der Kirche im Licht des Evangeliums nachzudenken, damit sie wirklich das umfassende Heilssakrament sein kann.

  • t

    Markus Patenge

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