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Zur Dynamik und Statik der kirchlichen Lehre

Zugegeben: Die weltweiten Missbrauchsskandale und ihrer systematischen Vertuschung durch Bischöfe ist wohl die größte Krise der katholischen Kirche der jüngeren Vergangenheit.

Zu Recht bestimmt dieses Thema nicht nur das mediale Interesse und es bleibt nur zu hoffen, dass die Kirche die richtigen Lehren ziehen wird.

 

Im Folgenden geht es aber um einen anderen Vorfall, der auch einige Aufmerksamkeit auf sich zog: Die Verzögerung der Erteilung des Nihil obstat für Pater Wucherpfennig SJ als Rektor der Philosophisch-Theologischen Hochschule Sankt Georgen.  Obwohl das Nihil obstat mittlerweile vorliegt, offenbart dieser ganze Vorgang ein tiefes Problem katholischer Lehrverkündigung. Denn es geht um die Frage, wie dynamisch bzw. statisch die kirchliche Lehre ist und – falls es eine Entwicklung – wie der Prozess der Entwicklung zu verstehen ist. Von dieser Fragestellung kann sich keine theologische Disziplin frei machen.

Bildunterschrift
Letztlich geht es bei dieser Fragestellung um den Umgang mit der lehramtlichen Tradition. Sehr drastisch und prominent entzündete sich diese Problematik an der Enzyklika Humanae vitae von Papst Paul VI. (1968). Diese Enzyklika ging auch unter dem Titel „Pillen-Enzyklika“ in der Geschichte ein. Die wechselvolle Entstehungsgeschichte kann an dieser Stelle nicht widergegeben werden (eine ausführliche Darstellung findet sich in: Lintner, Martin M., Von Humanae vitae bis Amoris laetitia. Die Geschichte einer umstrittenen Lehre. Innsbruck; Wien: Tyrolia 2018). In dieser Enzyklika bekräftigt Paul VI. das Verbot der künstlichen Empfängnisverhütung mit Rückgriff auf die lehramtliche Tradition. Die spannungsvolle Genese und Rezeptionsgeschichte der Enzyklika zeigen hierbei, dass sehr viele Bischöfe, Theologinnen und Theologen und Gläubige mit der puren Anwendung lehramtlicher Tradition auf eine neue Fragestellung nicht einverstanden waren.

Ein Blick in die Kirchengeschichte zeigt auf, dass die Bindung an die Tradition nie als starre Rezeption an den Wortlaut früherer Verkündigung verstanden wurde. Die Aufhebung des Zinsverbotes, die Bewertung der Religionsfreiheit oder die Sichtweise auf die Ehe zeigen eindrucksvoll auf, dass die Lehre stets einen dynamischen Prozess darstellt. Obwohl es unzweifelhaft diese Entwicklungen seit dem Urchristentum gab, gibt es nicht wenige Menschen, für die die Tradition an einem bestimmten Punkt der Kirchengeschichte endet. Jede Weiterentwicklung ist aus dieser Perspektive ein Verrat an der überlieferten Lehre. Ganz abgesehen davon, dass die Festlegung dieses Zeitpunktes meist willkürlich geschieht oder dem eigenen Interesse folgt, missachtet dieser „Traditionsabbruch“ den notwendigen kontinuierlichen Prozess der je neuen „Inkarnation“ der Lehre in die jeweilige Zeit und den Kontext. Selbstverständlich darf ein solcher Prozess auch nicht gänzlich von der Tradition absehen. Dieser Rückgriff auf die Tradition sollte dabei stets den zeitgeschichtlichen Kontext beachten, um das Aussageziel angemessen erfassen zu können.

Wenn es also eine Entwicklung gibt, stellt sich weiterhin die Frage, wer diese zu verantworten hat. Das Kirchenrecht ist hier eindeutig: Die Lehre der Kirche und die Bewahrung der Tradition obliegt dem Papst bzw. einem Konzil unter Leitung des Papstes. Doch warum sollte sich die Lehre überhaupt ändern? Vielfältige Gründe können hier angebracht werden: Vertiefte theologische Reflexionen, neue wissenschaftliche Erkenntnisse, veränderte Kontexte, technischer Fortschritt etc. Diese unabgeschlossene Liste zeigt bereits, dass das Lehramt hier nicht auf die akademische Theologie verzichten kann. Denn die universitäre Forschung ist der herausgehobene Ort, an dem theologisch auf diese Entwicklungen reflektiert werden kann. Hierzu bedarf es sicherlich einiger Freiheiten der akademischen Theologie hinsichtlich der Methodik aber auch der Ergebnisse. Es wäre fatal, dass Ergebnis von theologischer Forschung von vornherein festlegen zu wollen. Wenn Theologie etwas mit dem Leben der Menschen von heute zu tun haben soll, kann sie sich nicht allein auf Antworten von früher verlassen.

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    Markus Patenge

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