Am 8. April 2016 wurde das nachsynodale apostolische Schreiben Amoris Laetitia von Papst Franziskus der Öffentlichkeit vorgestellt.
Zugleich gibt es zweifelsohne auch skeptische Stimmen zum Schreiben des Papstes. In einem Artikel der wichtigsten Tageszeitung Simbabwes, The Herald, wird Amoris laetitia vor allem als Kompromissdokument kritisiert, in dem sich der Pontifex zudem über die für Afrika dringliche Thematik der künstlichen Empfängnisverhütung oder die Problematik des sexuellen Missbrauchs Minderjähriger durch Kleriker und Ordensleute ausschweige. Auch was die Haltung der Kirche gegenüber gleichgeschlechtlichen Partnerschaften angeht, fehle es dem Text an Entschlossenheit, den bisherigen Kurs der Kirche weiterzutragen. In einem Beitrag zum Sendschreiben des Papstes in der Online-Tageszeitung The Citizen (Tansania) wird hingegen Enttäuschung deutlich, dass das Kirchenoberhaupt gerade in diesem Punkt nicht weiter gegangen ist – auch wenn die zurückhaltende Positionierung nicht wirklich überraschend sei.
Weitere Meldungen zur Exhortation aus dem östlichen Afrika kommen aus Kenia. Während Amoris laetitia bereits unmittelbar nach der Veröffentlichung auf dem Nachrichten-Portal „Standard Digital“ als nächster Schritt von Papst Franziskus auf dem Weg der Reform gewürdigt wurde, ist auch ein Kommentar in der kenianischen Tageszeitung Daily Nation eine Woche später von der Wirkkraft des Apostolischen Schreibens überzeugt. Insbesondere was den Umgang mit Geschiedenen angeht, sei hier ein wichtiger Richtungswechsel zu erkennen, den es fortan von den einzelnen Gläubigen mitzutragen gilt.
Im Namen der philippinischen Bischofskonferenz hat Erzbischof Socrates Villegas (Erzbischof von Lingayen Dagupan und Präsident der CBCP) eine Erklärung veröffentlicht. Besonders hervorgehoben wird, dass Franziskus Wert auf die verschiedenen Kontexte legt; allerdings heißt es auch hier, dass Franziskus die kirchliche Lehre nicht verändert. Der Papst möchte demgegenüber die Praxis der Kirche mit den Menschen verändern, indem Barmherzigkeit zum Zeichen der Kirche wird. Diese Barmherzigkeit schließt unter Umständen auch den Eucharistieempfang von Menschen in irregulären Situationen ein. Die Bischöfe der Philippinen wollen an Richtlinien arbeiten, um das Schreiben in den Diözesen zu implementieren. Da „Barmherzigkeit aber nicht warten kann“, sind schon jetzt alle dazu aufgerufen, diejenigen aufzusuchen, die sich in schwierigen Situationen befinden und das Gefühl haben, in der Kirche nicht willkommen zu sein. Diesen Menschen soll man mit offenen Armen entgegen gehen und ihnen zeigen, dass auch sie ihren Platz in der Gemeinschaft der Gläubigen haben.
Der Theologe und Jesuit Giacomo Costa (Aggiornamenti sociali) unterstreicht in einem Online-Beitrag die Güte und Gelassenheit des Textes (dolcezza e pacatezza). Er verwehre sich gegen abstrakte Abhandlungen dieser Thematik und lege Wert auf die Unterscheidung der Geister (discernimento), die auf Aufmerksamkeit, Zuhören und Dialog basiere. Bemerkenswert findet Costa, dass die Instanz des Gewissens hervorgehoben werde. Die differenzierte Wahrnehmung Franziskus’, die auch vor einer selbstkritischen Haltung nicht scheut („Wir, die Kirche, haben Ehe und Familie zu lange als ein abstraktes Ideal gepredigt“), lasse Raum für weitere Diskussionen.
Der Sakramententheologe Andrea Grillo unterstreicht in einem positiven Kommentar die Unabgeschlossenheit des christlichen Denkens, die in Amoris laetitia zum Ausdruck komme. Franziskus nehme eine positive Sicht auf die menschliche Liebe ein und legitimiere die Verschiedenheit an Interpretationen. Das Barmherzigkeitsprinzip werde bemerkenswert als „Dachbalken“ der Kirche installiert. Insgesamt komme im nachsynodalen Schreiben eine neue Sprache und ein neues Paradigma für das Lehramt zum Ausdruck.
Die chilenische Bischofskonferenz spricht in zwei kurzen Stellungnahmen davon, dass Amoris Laetitia dazu auffordere, „alle Familien, wie auch immer ihre konkreten Lebensrealitäten sein mögen, zu begleiten und zu integrieren“. Das Dokument werfe einen „offenen und grundlegend positiven Blick“ auf die Lebensrealität der Menschen, der „sich nicht von Abstraktionen oder idealistischen Wunschprojektionen nährt, sondern von einer pastoralen Hinwendung zur Realität“. Die chilenischen Bischöfe attestieren dem Dokument, dass es aus einer tiefen Erfahrung spricht. Es verrate die Perspektive von Menschen, „die aus Erfahrung wissen, was es bedeutet, Familie zu sein und viele Jahre zusammenzuleben“. Besonders unterstreichen die chilenischen Bischöfe in diesem Zusammenhang die bereits vor einiger Zeit von Papst Franziskus durchgeführten Erleichterungen bei den Verfahren zur Eheannullierung.
Die ecuadorianische Bischofskonferenz wies darauf hin, dass die päpstliche Exhortation dazu anrege, den Blick weniger auf die Probleme als auf die besonderen Gaben der Ehe und der Familie zu richten. Liebe, Großzügigkeit , Treue, Geduld und Freude stünden im Mittelpunkt des Schreibens. Der Papst rufe die Familien dazu auf, ein „Zeichen der Barmherzigkeit und Nähe“ gerade dort sein, „wo sich das familiäre Liebe nicht in idealer Weise oder nicht in Frieden und Freude realisiert“.
Im Rahmen ihrer 111. Vollversammlung verfassten die argentinischen Bischöfe anlässlich des Erscheinens von Amoris Laetitia ein kurzes Dankschreiben an Papst Franziskus. Sie bringen darin zum Ausdruck, dass die Exhortation neue pastorale Perspektiven eröffne und versichern dem Papst ihre „entschlossene und herzliche Aufnahme“ von all dem, was in dem Schreiben vorgeschlagen wird. In Bezug auf das Pontifikat Franziskus’ im Allgemeinen heißt es: „Sie lehren uns vieles, nicht nur durch ihre Worten, sondern insbesondere auch durch ihre Gesten. Wir identifizieren uns mit diesem kirchlichen Stil, der geprägt ist von Genügsamkeit, Sensibilität für die Leiden des Volkes, einer großzügigen Disponibilität und einer Kultur der Begegnung“.
In lateinamerikanischen Nachrichtenportalen werden unterschiedliche Aspekte des Lehrschreibens hervorgehoben. So wird etwa auf die lateinamerikanischen Einflüsse der Exhortation hingewiesen. „Begleiten, Unterscheiden und Fragilität integrieren“ werden als die drei Leitkonzepte des Schreibens identifiziert. Manche Medien unterstreichen, dass sich an der Lehre der Kirche nichts Wesentliches geändert habe. Ebenso finden sich Hinweise, die das Erscheinen des Schreibens mit der nur wenige Stunden davor verkündeten Entscheidung des kolumbianischen Höchstgerichts, gleichgeschlechtliche Ehen als verfassungsgemäß zu betrachten, in Zusammenhang bringen.
Insgesamt entspreche AL den Erwartungen derer, die von Papst Franziskus einen neuen Umgang mit Fragen zu Ehe und Familie erhofft haben, es enttäusche aber jene, die radikale Veränderungen erwartet haben. Die Veränderungen für die wiederverheirateten Geschiedenen müssten sich in der seelsorglichen Handhabung von Bischöfen und Priestern bei der Umsetzung des Dokuments zeigen. Franziskus halte fest an der De-Ideologisierung des Lehramts, am Weg zu mehr Inklusivität und zu mehr Barmherzigkeit. Für Faggioli habe es noch nie solch eine postsynodale Exhortation und auch noch nie eine so authentische Synode wie jene von 2014-2015 gegeben; es gelte abzuwarten, wie AL angenommen wird.
Überraschend schnell reagierte auch die Rumänische Bischofskonferenz (ebenfalls eine Diasporakirche) auf die Erscheinung des neuesten nachsynodalen Schreibens von Papst Franziskus. Der Generalsekretär Francisc Ungureanu macht die katholische Kirche in Rumänien darauf aufmerksam, dass der Papst sich in seinem Schreiben ganz ungewöhnlich auf einen Film Babette’s Fest und auf nicht katholische Persönlichkeiten, wie Martin Luther King oder Erich Fromm bezieht. Hervorgehoben wird noch, dass sich das neue Dokument vor allem nicht aus der Abstraktheit speist, um den Familien Orientierung für ein gelungenes Leben anzubieten, sondern die pastorale Achtsamkeit und eine sensible Hinwendung zur Realität zeichnet das neue Dokument aus.
Erst in den Abendstunden (am Tag der Veröffentlichung) konnte man aus der ersten Pressemitteilung der Ungarischen Bischofskonferenz entnehmen, dass der Familienbischof in Ungarn mit einem Ehepaar zusammen im Rahmen einer Pressekonferenz das neue Apostolische Schreiben des Papstes vorgestellt hat. Dabei betonte Familienbischof László Bíró: „Dem Papst ist es bewusst, dass man nicht nur von der Ehe als Ideal sprechen kann, sondern es gibt in der Tat auch das Verhalten, das diesem Ideal immer näher kommt.“ Der Presse gegenüber meinte Bischof Bíró, dass nicht der Inhalt des neuen päpstlichen Schreibens neu sei, sondern der Stil sei revolutionär und zukunftsweisend. Er gab zu, dass das Schreiben vor allem die Sichtweise forme und keine konkreten Formulierungen enthielte. Das Ehepaar griff auf seine Erfahrung mit Exerzitien zurück und betonte dabei die Bedeutung der spirituellen Begleitung durch die Krisenzeit, die sich bei einer Scheidung einstellt. Die Freude der Geschiedenen, wenn sie die Zuwendung der Kirche erfahren, war immer deutlich und aus dieser Erfahrung kann die Pastoral weiterhin schöpfen.
Die nicht kirchlichen Presseorgane aus diesen Ländern greifen etwas mutiger und mit mehr Begeisterung die „heikleren Themen“ auf, wie Homosexualität und Umgang mit Wiederverheirateten-Geschiedenen. Die regierungs- und kirchenkritische Pressestelle, index.hu, macht in Ungarn darauf aufmerksam, dass der Papst keine Diskriminierung der Homosexuellen oder der Wiederverheirateten-Geschiedenen mehr duldet und bezieht sich dabei auf das neueste apostolische Schreiben von Franziskus. Auf einem liberalen, auch eher kirchenkritischen rumänischen Internetportal, digi24.ro, erscheint Franziskus sogar als Beziehungscoach, der in neun Punkten (aus Amors Laetitia) Ratschläge für eine gelungene Beziehung formuliert.
Zusammenfassend kann – im Vergleich zu dem großen Interesse für das neue Dokument aus dem Vatikan zum Thema Ehe und Familie im deutschsprachigen Raum – festgestellt werden, dass Amoris Laetitia in Osteuropa kein großes Echo hatte. Ausgewogen, ziemlich leidenschaftslos und auch unkritisch waren die Reaktionen aus den hier in Betracht genommenen Ländern zu dem neuesten nachsynodalen Schreiben Amoris Laetitia.
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Klara Csiszar, Tobias Keßler, Veronika Maierhofer, Markus Patenge und Sebastian Pittl.