Flucht, Migration und Integration — Bewährungsprobe für Europa
Thema des gemeinsamen Online-Workshops der Deutschen Bischofskonferenz und des Symposiums afrikanischer Bischofskonferenzen (SECAM) am 21. und 22. April 2022 waren die sozialen, kulturellen und ökonomischen Einflussfaktoren der Epidemie in Afrika, insbesondere in ihrer spezifischen Auswirkung auf Männer, Frauen und junge Menschen. Die Konferenz basierte auf einer von der Wissenschaftlichen Arbeitsgruppe für weltkirchliche Aufgaben der Deutschen Bischofskonferenz noch vor der Corona-Pandemie in Auftrag gegebenen Studie mit dem Titel „Gender specific risks concerning HIV and AIDS in Africa. Pastoral Implications“. Sie war von einem afrikanisch-europäischen Wissenschaftler-Team unter Leitung von Pater Dr. Markus Luber SJ (Institut für Weltkirche und Mission, Frankfurt am Main) erstellt worden, der auch für die Konferenzplanung verantwortlich war.
Im Anschluss an dieses Statement folgte ein eindrücklicher Vortrag des Leiters von Caritas International, Dr. Oliver Müller, zu den Ursachen und Auswirkungen von Vertreibung und Flucht. Nach Angaben des UNHCR seien heute weltweit rund 60 Milionen Menschen auf der Flucht und damit mehr als je zuvor in der Geschichte der Menschheit. Besonders besorgniserregend sei die Zahl der Vertriebenen, die innerhalb der Herkunftsländer blieben, somit nicht unter die Genfer Flüchtlingskonvention fielen und daher keine internationale Hilfe erhielten. Nur etwa ein Drittel aller Geflüchteten lebten in Flüchtlingslagern, denn auch die Flüchtlingslager böten nicht hinreichend Schutz. Es gebe viel Gewalt, mafiöse Strukturen, ja sogar Menschenhandel und Prostitution. Die Hilfsorganisationen könnten diesen Probleme nicht angemessen begegnen. Ein lange vernachlässigter Faktor für die Überwindung der Probleme seien die mangelnden Bildungsmöglichkeiten. Weniger als ein Viertel der Kinder und Jugendlichen im schulpflichtigen Alter gingen zur Schule, häufig sei der Schulweg zu weit und zu unsicher, zudem sei der Unterricht häufig von schlechter Qualität. Um die Zahl der Menschen auf der Flucht nachhaltig zu verringern, bedürfe es mehr als der sogenannten „Fluchtursachenbekämpfung“. Die Gründe für die Flucht bestünden vor allem im Kampf um Rohstoffe und andere wichtige Ressourcen sowie in konstrastierenden politischen Interessen. Es brauche ein Gesamtkonzept für Entwicklung und Konfliktprävention, so Müller. Dabei dürfe die Verantwortung des Nordens nicht übersehen werden.
Auf den Vortrag von Oliver Müller folgte ein Podiumsgespräch mit Dr. Günter Krings, dem parlamentarischen Staatssekretär im Bundesministerium des Innern, sowie Frank Engel, einem luxemburger Abgeordneten des Europäischen Parlaments. Das von Stefan Lunte von der COMECE moderierte Gespräch hatte die „Begrenzung, Steuerung, Ordnung der Füchtlingsströme“ zum Thema. Das Gespräch und die daran anschließende Diskussion waren von einer ausgeprägten Einseitigkeit gezeichnet, wie sie ja bereits in der Überschrift zum Tragen kam. Mit anderen Worten fielen die Chance und der Gewinn, die die Zuwanderung für die deutsche und europäische Gesellschaft impliziert, völlig unter den Tisch. Die Frage der Integrationsfähigkeit der muslimischen Zuwanderer wurde demgegenüber eingehend diskutiert und es wurden hohe Anforderungen formuliert. Die Akzeptanz auf Seiten der Bevölkerung nahm einen prominenten Stellenwert in der Diskussion ein, von der Frage nach der Verantwortung des Nordens aus dem vorausgehenden Vortrag von Oliver Müller war nichts mehr zu spüren. Der einzige anwesende Moslem, Diplomsozialwissenschaftler Karim Moustafa und Mitglied des Zentralrats der Muslime, kam trotz anhaltender Wortmeldung nicht zum Zug und wurde auf den zweiten Tag der Konferenz vertröstet.
Unter der Überschrift „Religiöse Verfolgung und Krieg im Nahen Osten und die Kirche in Europa“ ging der Sekretär des Päpstlichen Rates Cor Unum, Msgr. Giampietro Dal Toso, zunächst auf die Situation der Christen im Mittleren Orient ein, um sich in einem zweiten Schritt auf die Frage nach der Aufgabe der Kirche in Europa angesichts dieses epochalen Wandels zu konzentrieren. Die Zahl der Christen im Mittleren Osten betrage rund 13 Milionen, was 3,8 Prozent der Bevölkerung entspreche. Die Lage der Christen in den einzelnen Ländern sei recht unterschiedlich. Insgesamt betrachtet sei der kulturelle Einfluss der Christen proportional zu ihrer geringen Zahl recht hoch. Nicht selten sei es über die Zeit zu einem guten und respektvollen Miteinander von Christen und Muslimen gekommen, nun werde das gewachsene gegenseitige Vertrauen durch den Terror und die Gewalt des sogenannten Islamischen Staates zerstört. Mit Blick auf die Aufgabe der Kirche in Europa erwähnte Dal Toso die Stärken und Schwächen des Kontinents. Für die Flüchtlinge sei Europa der Inbegriff von Frieden, Freiheit, Sicherheit und Zukunft. Doch Europa zeige auch Schwächen wie die Wirtschaftskrise, die hohe Arbeitslosigkeit in zahlreichen Ländern, die Kluft zwischen Armen und Reichen, die politische und die kulturelle Krise. Den tiefen inneren Zusammenhang zwischen dem Humanum und dem Christianum gelte es neu zu entdecken, die Kirche müsse sich einsetzen für eine Kultur des Lebens. Die aktuellen Krisen implizierten für die Kirche die Chance, ihr wahres Gesicht zu zeigen. Das wohltuende Gegengewicht zum Grundtenor der Tagung, das in diesem Vortrag zum Tragen kam, wurde in der anschließenden Diskussion bedauerlicherweise kaum aufgegriffen.
Aufs Ganze gesehen gab es im Rahmen der Tagung hier und da durchaus wertvolle Denkanstöße, die jedoch bedauerlicherweise nur ein geringes Echo zu erzeugen vermochten. Stark waren demgegenüber die warnenden Stimmen, die von der Sorge um die Wahrung der christlichen Identität geprägt waren. Die Zuwanderung zahlreicher muslimischer Flüchtlinge wurde primär als Bedrohung dargestellt. In Bezug auf den Titel der Tagung bleibt daher offen, worin sich Europa angesichts von Flucht, Migration und Integration eigentlich bewähren soll. Mit Blick auf die Zusammensetzung der Beteiligten fiel auf, dass trotz der beachtlichen Zahl an Rednern auf dem Podium keine einzige und in der Zuhörerschaft nur sehr wenige Frauen anwesend waren.
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TK