Ansprache von Papst Franziskus beim zweiten Welttreffen der Volksbewegungen
Papst Franziskus zeigte sich beeindruckt von der Atmosphäre an „Geschwisterlichkeit, Charisma, Engagement“ und „Durst nach Gerechtigkeit“, das ihm beim Treffen begegnete.
In aller Deutlichkeit unterstrich er, dass die Welt einer grundlegenden Veränderung bedürfe, denn das vorherrschende System habe die „Logik des Gewinns um jeden Preis“ durchgesetzt, „ohne an die soziale Ausschließung oder die Zerstörung der Natur zu denken“. Die Volksbewegungen seien ein wichtiges Zeichen der Hoffnung sowie dafür, dass Veränderung möglich und schon unterwegs sei: „Die Globalisierung der Hoffnung, die in den Völkern aufkeimt und unter den Armen wächst, muss an die Stelle der Globalisierung der Ausschließung und der Gleichgültigkeit“ treten, so der Papst, denn das aktuelle System sei nicht mehr hinzunehmen. Es zerstöre den Menschen, die Gemeinschaften, die Völker und die Erde.

„Was kann ich, ein Cartonero, eine Catadora, ein Müllsucher, eine Müllsortiererin angesichts so vieler Probleme tun, wenn ich kaum genug zum Essen verdiene? Was kann ich Handwerker, Straßenhändler, Fernfahrer, ausgeschlossener Arbeiter tun, wenn ich nicht einmal Arbeitsrechte habe? Was kann ich Bäuerin, ich Indio, ich Fischer tun, wenn ich kaum der Unterwerfung durch die großen Genossenschaften widerstehen kann? Was kann ich von meinem Elendsviertel, meiner Bruchbude, meinem Dörfchen, meiner Barackensiedlung aus tun, wenn ich täglich diskriminiert und ausgegrenzt werde? Was kann dieser Student, dieser Jugendliche, dieser Vorkämpfer, dieser Missionar tun, der durch die Stadtviertel und die Gegenden läuft mit dem Herzen voller Träume, doch nahezu ohne irgendeine Lösung für seine Probleme? – Sie können viel tun, sie können viel tun! Sie, die Unbedeutendsten, die Ausgebeuteten, die Armen und Ausgeschlossenen, können viel und tun viel. Ich wage, Ihnen zu sagen, dass die Zukunft der Menschheit großenteils in Ihren Händen liegt, in Ihren Fähigkeiten, sich zusammenzuschließen und kreative Alternativen zu fördern, im täglichen Streben nach den ‚drei T‘ – einverstanden? – (trabajo, techo y tierra – Arbeit, Wohnung, Grund und Boden) und auch in Ihrer Beteiligung als Protagonisten an den großen Wandlungsprozessen, an nationalen Veränderungen, regionalen Veränderungen und weltweiten Veränderungen. Lassen Sie sich nicht einschüchtern!Sie sind Aussäer von Veränderung.“
Der Papst wies darauf hin, dass man die „zu gemeinschaftlichem Handeln gewordene Ergriffenheit“ dieser Volksbewegungen nicht mit dem Verstand allein begreifen könne. Sie besitze „ein Mehr an Sinngehalt, das nur die Leute aus dem Volk verstehen und das den wirklichen Volksbewegungen ihre besondere Mystik“ verleihe.
Die Kirche dürfe in ihrer Verkündigung diesem Prozess der Organisation der Ausgeschlossenen nicht fern stehen. Viele Priester und Pastoralarbeiter würden „eine gewaltige Aufgabe der Begleitung und Förderung der Ausgeschlossenen der ganzen Welt“ erfüllen, indem sie „Unternehmen vorantreiben, Wohnungen bauen und hingebungsvoll in den Bereichen des Gesundheitswesens, des Sports und des Erziehungswesens arbeiten.“
Obwohl Franziskus betonte, dass „weder der Papst noch die Kirche das Monopol für die Interpretation der sozialen Wirklichkeit“ und auch keine einfachen Lösungsvorschläge für die gegenwärtigen Probleme anzubieten hätten, nannte er ganz allgemein drei globale Herausforderungen, die den entscheidenden Beitrag der Gesamtheit der Volksbewegungen erforderten: 1. die Wirtschaft in den Dienst der Völker zu stellen anstatt Mensch und Natur unter der Herrschaft des Geldes zu belassen; 2. die Völker auf dem Weg des Friedens und der Gerechtigkeit zu vereinen; 3. die Verteidigung der Mutter Erde.
Papst Franziskus erinnerte vor den zahlreichen indigenen Bewegungen, die an dem Treffen teilnahmen, auch an die Verbrechen der Kirche während der Kolonialzeit: „Ich sage Ihnen mit Bedauern: Im Namen Gottes sind viele und schwere Sünden gegen die Ureinwohner Amerikas begangen worden.“ Ausdrücklich bat er um Vergebung, „nicht nur für die von der eigenen Kirche begangenen Sünden, sondern für die Verbrechen gegen die Urbevölkerungen während der sogenannten Eroberung Amerikas. […] Es gab Sünde, es gab sie, und zwar reichlich, wir aber haben nicht um Vergebung gebeten, und deshalb bitten wir um Vergebung, bitte ich um Vergebung.“
Auch in dieser Hinsicht fand Papst Franziskus nach den zweideutigen Aussagen Papst Benedikts während seines Brasilienbesuchs 2007 wieder eindeutige Worte.