Neues Schreiben an die Bischöfe der Weltkirche
Die Kirche verjüngt sich
Das Schreiben ist durchweg geprägt von einer tiefen Wertschätzung für charismatische Gemeinschaften: Sie stellen „eine große Ressource der Erneuerung für die Kirche“ dar. Die Gemeinschaften seien „ein bedeutsames Zeugnis dafür, dass die Kirche ‚nicht durch Proselytismus, sondern durch Anziehung‘“ wachse. Gleichzeitig fordert das Schreiben charismatische Gemeinschaften dazu auf, die Autorität des kirchlichen Lehramts anzuerkennen. Die biblischen Texte böten hinsichtlich der Charismen keine „systematische Lehre“. Zum Verständnis der Charismen sei man deshalb auf das Lehramt angewiesen. Das Schreiben fordert charismatische Gemeinschaften auch dazu auf, sich nicht als „Parallelgesellschaften“ zu begreifen, sondern sich auf allen Ebenen in der Kirche einzubringen. Einen konkreten Anlass nannte Kardinal Gerhard Müller, Präfekt der Glaubenskongregation und Mitunterzeichner, bei der Vorstellung des Schreibens nicht. Das Verhältnis von charismatischen Bewegungen, Gesamtkirche und Ortskirchen war und ist aber nicht immer einfach, wie das Beispiel der Charismatischen Erneuerung zeigt.
1967 fasste die Charismatische Erneuerung in der römisch-katholischen Kirche Fuß. Wenige Jahre zuvor hatte Johannes XXIII. in Vorbereitung auf das Zweite Vatikanische Konzil (1962–1965) seine Hoffnung zum Ausdruck gebracht, das Konzil möge ein „neues Pfingsten“ einleiten. Zwei Jahre nach dem Ende des Konzils begannen in Amerika an den Universitäten Notre-Dame und Duquesne die ersten Katholiken „in Zungen“ zu reden. Sie berichteten, die Geisttaufe erfahren zu haben. Trotz der Vorlage von Johannes XXIII. und der Aufbruchsstimmung nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil wurden Berichte über die Geschehnisse in Notre-Dame und Duquesne von der Gesamtkirche eher verhalten aufgenommen. In einem Bericht von Pro Mundi, einem internationalen, katholisch verorteten Forschungs- und Informationszentrum, aus dem Jahre 1976 heißt es dazu: Man fragte sich, „was man wohl von irregeführten Liberalen zu erwarten habe, die allzu viel Zeit damit verbrachten, mit protestantischen Pfarrern zu beten“. 1974 kamen in Notre-Dame bereits 25.000 Menschen zur Achten Internationalen Konferenz über die Charismatische Erneuerung zusammen.
Nach anfänglicher Skepsis fand die Charismatische Erneuerung bald einflussreiche Fürsprecher, unter ihnen angesehene Theologen wie den Amerikaner Kilian McDonnell (1921–), den Franzosen René Lauretin (1917–) oder den Deutschen Heribert Mühlen (1927–2006). Auch Kardinal Léon-Joseph Suenens (1906–1996), Erzbischof von Mecheln, der sich bei seiner Bischofsweihe bereits unter den Wahlspruch „In Spiritu Sancto“ gestellt hatte, zählte zu den Unterstützern der Bewegung. 1974 legte Kardinal Suenens in einer programmatischen Schrift dar, welche Hoffnungen er mit der Charismatischen Erneuerung verband. Der vielsagende Titel der Schrift lautete: „Ein neues Pfingsten?“ Paul VI. übergab Kardinal Suenens die Verantwortung für die Bewegung innerhalb der Römisch-katholischen Kirche und erkannte die Bewegung damit gleichzeitig als Teil der katholischen Kirche an. Heute ist die Charismatische Erneuerung offiziell als neue geistliche Gemeinschaft anerkannt und dem Päpstlichen Rat für die Laien zugeordnet. In Rom betreibt die Bewegung das Informationszentrum „International Catholic Charismatic Renewal Servies“ (ICCRS), das auf eine Initiative von Kardinal Suenens zurückgeht. Die Frage, wie charismatische bzw. neue geistliche Gemeinschaften in die Gesamtkirche integriert werden können und wie ihr Verhältnis zu den jeweiligen Ortskirchen gestaltet werden kann, beschäftigt die Kirche aber bis heute.
Bereits 1974 mahnt Kardinals Suenens an, dass sich die Bewegung ohne kirchliche Begleitung „parakirchlich“ verselbständigen könnte. 2014 ruft Papst Franziskus die Bewegung in einer Ansprache anlässlich eines Treffens der italienischen Charismatischen Erneuerung in Rom dazu auf, ihre Gaben mit der ganzen Kirche zu teilen. Auch erinnert er die Bewegung daran, sich stets von der Kirche anleiten zu lassen. Damit nimmt die Ansprache des Papstes wichtige Themen des Schreibens Iuvenescit Ecclesia bereits vorweg. Sowohl die Ansprache des Papstes als auch Iuvenescit Ecclesia zeugen dabei von der bereits erwähnten Wertschätzung, die man nicht nur der Charismatischen Erneuerung, sondern auch anderen neuen geistlichen Gemeinschaften entgegenbringt. Überwiegend positiv ist deshalb auch das Echo auf das Schreiben innerhalb der neuen geistlichen Gemeinschaften selbst. Weihbischof Ansgar Puff, selbst Mitglied der neuen geistlichen Gemeinschaft Neokatechumenaler Weg, wünscht sich, dass das, was in dem Schreiben zur Sprache gebracht wird, tatsächlich Wirklichkeit werde, wie er in einem Interview mit katholisch.de vom 14. Juni 2016 zum Ausdruck brachte: „Dass auf der einen Seite meine Mitbrüder, die Bischöfe, mit Großherzigkeit und Offenheit die neuen geistlichen Bewegungen fördern. Dass aber gleichzeitig sich die neuen geistlichen Bewegungen nicht in eine Sonderwelt abschließen, sondern wissen, wir sind zum Dienst einer Gesamtkirche, einer Diözese da“. Wie sich das Verhältnis von Kirche und neuen geistlichen Gemeinschaften in Zukunft entwickelt, bleibt abzuwarten.
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Esther Berg
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Hans Gasper (2015): „Die charismatische Bewegung: Konfessionelle, nichtkonfessionelle und neocharismatische Gemeinschaften“, in: Konfessionskunde hrsg. von Johannes Oeldemann, Paderborn, Leipzig: Bonifatius und Evangelische Verlagsanstalt.
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Christoph Hegge (Hrsg.) (2015): Kirche bricht auf. Die Dynamik der Neuen Geistlichen Gemeinschaften. Münster: Aschendorff Verlag.
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T. Paul Thigpen (2003): „Catholic Charismatic Renewal“, in: The New International Dictionary of Pentecostal and Charismatic Movements hrsg. von Stanley M. Burgess und Eduard M. Van Der Maas, überarbeitete und erweiterte Ausgabe, Grand Rapids, Michigan: Zondervan, S. 460-467.
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Joachim Müller (1998): Neue Geistliche Gemeinschaften. Vielfalt in der katholischen Kirche, Freiburg, Schweiz: Kanisius Verlag.