Museale Kulturgüter in dekolonialer Perspektive als Aufgabe für Missionswissenschaft und Kulturpolitik.
Die diesjährige Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Missionswissenschaft (DGMW) in Zusammenarbeit mit der Evangelischen Akademie Loccum hat ein aktuelles und brisantes Thema aufgegriffen: Während die Debatten um Restitution – die Rückgabe geraubter Kulturgüter an ihre Herkunftsgesellschaften – Fahrt aufnehmen, stehen Museen, Missionswerke und andere Einrichtungen vor der Herausforderung, die koloniale Vergangenheit ihrer Sammlungen aufzuarbeiten.
Vom 10.- 12. Oktober 2024 konnten nun MuseumsexpertInnen, TheologInnen, EthnologInnen und zivilgesellschaftliche Initiativen aus dem Globalen Süden und Norden innovative Ansätze zum Thema diskutieren.
Das IWM war durch Dr. Markus Scholz vertreten. Mit seinem Beitrag „Propaganda mit Dingen aus Chile: Die Missionssammlung der bayerischen Kapuziner“ konzentrierte er sich explizit auf die Situation in Lateinamerika:
Die bayerischen Kapuziner operierten im Gegensatz zu anderen Missionsorden in der Phase des Hochimperialismus nicht in einer Kolonie, sondern in einem unabhängigen Nationalstaat, der eine eigene politische Agenda hatte.
Sie setzten sich für die Belange der Indigenen ein, indem sie Übergriffe von weißen Kolonisten vor Gericht anzeigten und in der Presse anklagten.
Ihre Sammlung, die bis Ende der 1980er Jahre in einem Missionsmuseum in Altötting ausgestellt war, spiegelt die Funktion der Sammlung als Teil einer PR-Strategie und zum Zwecke des Fundraisings. Mutmaßlich „originale“ Stücke waren weniger wichtig als ausstellerische Erwägungen. So befindet sich in der Sammlung z.B. ein Stück, das der Form nach klassischem Mapuche-Silberschmuck entspricht, aber aus einer Art Aluminiumlegierung o.ä. hergestellt wurde.
Ritualobjekte aus dem Nachlass eines verstorbenen Schamanen, die sich in der Sammlung befinden, müssen nach heutigem Verständnis als „kulturell sensibel“ eingestuft werden. Wie angemessen damit umzugehen ist, muss aber durch weitere Forschung und im Dialog mit der Herkunftsgemeinschaft geklärt werden.
Mit seinem Schwerpunkt und dem regionalen Bezug auf Lateinamerika, konnte Dr. Markus Scholz das Thema als einziger unter den Vortragenden nun auch in Lateinamerika verankern – verlagert sich die Diskussion doch sonst zumeist auf Afrika und Ozeanien.
Die Tagung ermöglichte erstmals ein wirkliches Aufeinandertreffen von Wissenschaftlern aus Theologie und Missionswissenschaft mit solchen aus der Ethnologie, Geschichtswissenschaften und Museen – und bot somit eine Plattform für einen guten und konstruktiven Austausch.
Dr. Markus Scholz verantwortet am IWM das Projekt „Mission jenseits von Heimat und Kolonien“
- Wissenschaftlicher Mitarbeiter – Missionsgeschichtliche Sammlungen