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Missionsgeschichtliche Sammlungen

Wozu brachten Angehörige missionierender Orden in der Zeit des Deutschen Kaiserreichs (und darüber hinaus) völkerkundliche Objekte und andere Dinge aus dem Umfeld ihrer Missionen nach Europa? Welche Bedeutung hatten die so zustande gekommenen Sammlungen damals für die Ordensgemeinschaften? Und welche haben sie heute? Sind die Objekte heute noch von Interesse für die indigenen Herkunftsgemeinschaften und Herkunftskirchen? Was haben diese Sammlungen mit Kolonialismus zu tun? Und was heißt das für den Umgang mit den betreffenden Sammlungen im Hier und Jetzt?

 

Derartige Fragen stehen im Mittelpunkt des Projekts „Missionsgeschichtliche Sammlungen“, das darauf abzielt, sich mit den Beständen vorrangig ethnographischer Objekte auseinanderzusetzen, die Missionarinnen und Missionare in der zweiten Hälfte des 19. und in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zusammentrugen. Diese Auseinandersetzung ist dringend geboten, denn es ist in vielen Ordensgemeinschaften mit derartigen Sammlungen fraglich, ob der Erhalt dieses missionarischen Erbes angesichts knapper personeller Ressourcen langfristig gesichert ist. Zudem drängt die aktuelle Debatte über die Aufarbeitung der deutschen Kolonialgeschichte dazu, völkerkundliche Sammlungen allgemein einer kritischen Revision im Hinblick auf die mit ihnen verbundenen Erwerbungsvorgänge sowie auf ihre Verwendung in historischer Ausstellungspraxis zu unterziehen.

Sammlungen im Erkenntnisinteresse verschiedener Wissenschaften
Die Untersuchung der betreffenden Sammlungen, die zum Teil in eigens eingerichteten Missionsmuseen einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich, andernorts weniger exponiert oder gar eingelagert sind, liegt heute im Interesse verschiedener wissenschaftlicher Disziplinen. So lässt sich schon seit Längerem seitens der Geschichts- oder auch der Religionswissenschaften eine Hinwendung zu nicht schriftlichen Quellen konstatieren, während Missionen zudem unter global- oder verflechtungsgeschichtlichen Ansätzen als Orte des Austauschs und des Kulturkontakts erforscht werden. Vor dem Hintergrund postkolonialer Theorie geht es hierbei natürlich auch um die Aufarbeitung kolonialer Strukturen.
Für die Museologie geht es bei missionsgeschichtlichen Sammlungen typologisch um Fragen der Sammlungsgenese und -konstitution: Was macht ihre Spezifizität im Vergleich zu anderen ethnographischen Sammlungen aus? In der Ethnologie dient die Auseinandersetzung mit missionsgeschichtlichen Sammlungen schließlich der Erforschung der eigenen Fachgeschichte, in der Missionare oft wesentlich zur Erhebung von Daten und Sammlungsobjekten beitrugen oder sich selbst durch wissenschaftliche Arbeiten hervortaten. Gleichzeitig sind Museen mit ethnographischen Sammlungen heute gefordert, sich der Debatte über die Provenienz ihrer Bestände in der Kolonialzeit zu stellen, mit Restitutionsforderungen umzugehen und mit neuen Formaten der Kritik an jahrzehntelang gepflegten eurozentrischen Darstellungsweisen in Ausstellungen zu begegnen, die Multiperspektivität und unterschiedlichen Deutungen Rechnung tragen.
Projektziele
Mit dem hiesigen Projekt werden vor diesem Hintergrund zwei Ziele verfolgt: Zum einen soll durch die Bearbeitung missionsgeschichtlicher Sammlungen ein differenzierter Beitrag zur Verhältnisbestimmung von Missionen und kolonialen Unternehmungen geleistet werden. Ein solcher Beitrag kann darin bestehen, missionstheologische und spiritualitätsgeschichtliche Aspekte herauszuarbeiten, um die Motivationen für missionarisches Sammeln im Unterschied zu imperialen Sammlungsprojekten aufzuzeigen. So wäre etwa zu fragen, inwieweit das Missionspersonal den Anspruch eines universalistischen Gemeinschaftsideals des Evangeliums verfolgte und ob sich dieser in den Sammlungen widerspiegelt. Dabei muss auch ein Fokus auf die Akteurschaft der indigenen Bevölkerung gelegt werden, denn für die Bewertung der Sammlungen ist es relevant, wie und aus welchen Gründen Objekte veräußert wurden.
Zum anderen hat die Beschäftigung mit diesen Fragen Konsequenzen für die binnenkirchliche Deutung der Missionsgeschichte. Die Bedeutung der Sammlungen hat sich in den jeweiligen Ordenshäusern und -gemeinschaften zweifellos gewandelt; daher können Untersuchungen im Rahmen des neuen Projekts, die daran ansetzen, auch ein Licht auf zeitgeschichtliche Kontexte werfen, wie etwa auf den Emanzipationsprozess ehemaliger Missionskirchen von europäischen Mutterkirchen oder auf Inkulturation und Nationwerdung als christliche Identitätsfragen in postkolonialen Prozessen. Hierbei ist auch der grundlegende Wandel des Missionsverständnisses mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil zu berücksichtigen, der zu einer deutlichen interkulturellen Ausrichtung der Orden führte. Es ist naheliegend anzunehmen, dass dies mit einem Identitätsbildungsprozess der betreffenden Missionsgemeinschaften einherging, den es zu historisieren gilt.
Schließlich beabsichtigt das Projekt, sich mit den Interessen und Fragestellungen der kirchlichen Gemeinden vor Ort auseinanderzusetzen: Wie beurteilen lokale Kirchen, die aus missionarischem Engagement hervorgegangen sind, die Sammlungen und die gegenwärtigen Diskussionen? Und was sind ihre Überlegungen zum praktischen Umgang mit den Objekten?
Angesichts der Menge an missionsgeschichtlichen Sammlungen, die allein von katholischen Ordensgemeinschaften hervorgebracht wurden und sich in Deutschland befinden, kann das Projekt nicht darauf ausgelegt sein, eine flächendeckende Erfassung, Bewertung und Provenienzforschung durchzuführen. Es ist vielmehr vorgesehen, mithilfe jeweils geeigneter Kooperationspartner Projekte über bestimmte Sammlungen zu initiieren, dafür entsprechende Drittmittel einzuwerben und deren Ergebnisse bei erfolgreicher Umsetzung in Sankt Georgen zu bündeln, sodass auch weitere Ordensgemeinschaften beratend, vermittelnd und begleitend unterstützt werden können.
  • Wissenschaftlicher Mitarbeiter – Missionsgeschichtliche Sammlungen
+49 69 6061-705 scholz@iwm.sankt-georgen.de
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