Am Mittwoch, den 16. September fand in Bern unter diesem Titel der diesjährige Studientag der „Dienststelle der Schweizer Bischofskonferenz für die Seelsorge für die Migranten und Menschen unterwegs“ (
migratio) statt. Ausgehend von einer Feststellung der Instruktion „
Erga migrantes caritas Christi“ (EMCC), wonach die Migrationen für die Ortskirchen einen Prüfstein für den Grad ihrer Katholizität darstellten (vgl. EMCC 103), war es die erklärte Absicht des Studientages, die binnenkirchlichen Auseinandersetzungen in Bezug auf die muttersprachliche Seelsorge – die in der Schweiz „Katholische Seelsorge für Anderssprachige“ heißt – neu zu reflektieren. Diskutiert wird in den genannten Debatten „wie, wer und was noch authentisch katholisch sei bzw. wer und was (bereits) katholisch zeitgemäss sei und wer und was (noch) nicht, bis hin zu der häufigsten Frage darüber, ob es katholische Missionen überhaupt noch brauche, denn schliesslich seien wir alle doch katholisch“ (so der Text auf dem
Einladungsflyer). Obwohl der Fokus der Tagung klar auf der Situation in der Schweiz lag, wurden viele Parallelen zu den Fragestellungen in Deutschland sichtbar. Auch an der Auswahl der ReferentInnen wurde diese Verbindung deutlich.
Auf die Begrüßung durch den Nationaldirektor für die Anderssprachigenseelsorge
PD Dr. Samuel Behloul folgte ein Vortrag von
Dr. Jenni Winterhagen zum Thema „Integration wohinein? Warum es für die Kirche (mehr) Sinn macht, über Organisationsöffnung zu sprechen“. Winterhagen ist Senior Consultant bei der Syspons GmbH und befasst sich schwerpunktmäßig mit Organisationsentwicklung und interkultureller Öffnung von Organisationen. Doch auch die Beschäftigung mit katholischen Migrantengemeinden zieht sich wie ein roter Faden durch die ihre wissenschaftliche Tätigkeit (vgl. angegebenen Link). Aus der Verbindung dieser beiden Aspekte ergibt sich die besondere Perspektive, die auch den Vortrag der Referentin prägte. Aufschlussreich war insbesondere der Hinweis darauf, dass die Wahrnehmung von Unterschieden zum Ausgangspunkt für zwei entgegengesetzte Strategien wird, die im Idealfall miteinander kombiniert werden sollten: Differenzempfindliche Maßnahmen einerseits und differenzunempfindliche Maßnahmen andererseits. Die Einrichtung anderssprachiger Gemeinden in der katholischen Kirche ist eine differenzempfindliche Maßnahme, weil sie sprachliche und kulturelle Unterschiede als relevante Größen erachtet, die unter pastoralen Gesichtspunkten besonderen Bedürfnissen entsprechen und eine Sonderseelsorge rechtfertigen. Die Gefahr dieser Strategie besteht darin, dass sie Unterschiede tendenziell festschreibt und somit verfestigt. Eine Differenzunempfindliche Maßnahme wäre demgegenüber etwa das Angebot einer Pfarrei, eine Bibelgruppe oder eine sportliche Initiative ins Leben zu rufen mit dem Ziel, Einheimische und Zuwanderer gleichermaßen anzusprechen. Dieses Vorgehen hat den Nachteil, dass es bestehende Unterschiede schlicht ignoriert. Da also beide Ansätze je spezifische Vor- und Nachteile mit sich bringen, empfiehlt sich eine Kombination dieser Strategien. Bezogen auf die Kirche bedeute dies, dass der Wertschätzung der Vielfalt, die in der Präsenz der anderssprachigen Gemeinden zum Ausdruck kommt, zunehmend auch differenzunempfindliche Maßnahmen entsprechen müssten, die die zugewanderten KatholikInnen ebenso anzusprechen vermögen wie die einheimischen.
Der zweite Beitrag kam vom kroatischen Dominikaner P. Frano Prcela zur Frage der „Rolle der katholischen Kirche in der kroatischen Identität. Mit besonderem Blick auf Diaspora“. Prcela unterstrich die seit den Anfängen bestehende enge Verbindung zwischen der katholischen Kirche und dem kroatischen Volk bis hin zur Identifikation der beiden Größen. Diese ohnehin starken Bande wurden von Seiten der Kirche noch dadurch befördert, dass diese sich auch mit Nachdruck für die nationalen Interessen einsetzte. Positiv betrachtet, zeugt diese Wertschätzung von der ungebrochenen Nähe der Kirche zu den Menschen, gerade auch in den schwierigen Zeiten. Allerdings brachte die fehlende Distanz zwischen Nation und Kirche auch Probleme mit sich. Die katholische Kirche war auf das Ende des kommunistischen Regimes und die daraus resultierende Freiheit völlig unvorbereitet und sei es auch heute noch, so Prcela. In Bezug auf die Glaubenspraxis, habe dies dazu geführt, dass die sprichwörtliche Kirchlichkeit der Kroaten zu reinem Formalismus und reiner Traditionspflege verkommen sei. Es fehle an einer intellektuellen Glaubensvermittlung. Für manche kroatischen Priester sei der politische Standpunkt der Menschen wichtiger als die theologische Fundierung des Glaubens. Mit Blick auf die Ortskirchen in den Aufnahmeländern – zwei Drittel der ausgewanderten Kroaten leben im deutschsprachigen Raum, die große Mehrheit davon in Deutschland – bemerkte Prcela kritisch, dass sie Zuwanderer in Übersee längst eigene Pfarreien hätten, während sie in Europa immer noch Gäste seien. Am Ende seines Vortrags erwähnte der Referent ein kurzes Interview mit einer Studentin im Rahmen einer Sonntagspredigt, bei dem es um die Frage ging, weshalb junge Leute der sogenannten zweiten und dritten Generation weiterhin den Gottesdienst der kroatischen Gemeinde besuchten. Die Antworten der jungen Dame ließen darauf schließen, dass nicht der Gottesdienst als solcher, sondern der Aspekt der sozialen Kontakte im Vordergrund stünden.
Nach der Mittagspause folgte ein weiterer Vortrag des Dozenten für Mittlere und Neuere Kirchengeschichte an der Universität Freiburg Schweiz, Prof. Dr. Mariano Delgado, unter dem Titel: „Die Migrantenseelsorge. Inkulturation und Katholizität“. Migration sei ein uraltes Phänomen, neu sei in unserer Zeit der Aspekt der Transnationalität. Die transnationale Mobilität der Menschen sei ein Zeichen der Zeit, das keineswegs nur ein Problem, sondern in mancherlei Hinsicht auch eine Chance für Gesellschaft und Kirche der Aufnahmeländer darstelle. Die Kirche habe gegenüber den Zuwanderern eine advokatorische und eine diakonische Aufgabe, die sich in einer Option für die Migranten im Sinne einer spezifischen Ausprägung der Option für die Armen ausdrücken müsse. Diese Option für die Migranten betreffe alle Zuwanderer, unabhängig von deren Herkunft und Religion. Für die katholischen Migranten bestehe darüber hinaus eine seelsorgliche Aufgabe, die sowohl die Inkulturation des Glaubens als auch die Katholizität im Blick behalten müsse. Das Angebot der Anderssprachigenseelsorge sei der konkrete Ausdruck der Inkulturation. Der Aspekt der Katholizität sei dagegen noch ausbaufähig.
Passend zur Thematik stellte Simon Foppa, wissenschaftlicher Mitarbeiter des Schweizerischen Pastoralsoziologischen Instituts (SPI) in St. Gallen daran anschließend seine vor kurzem publizierte Masterarbeit vor zum Thema: „Katholische Migrantengemeinden – Wie sie Ressourcen mobilisieren und Handlungsspielräume schaffen“. Es handelt sich um eine qualitative Studie zweier englischsprachiger Communitys.
Den Abschluss des Studientags bildete eine Podiumsdiskussion, an der neben den genannten Referenten noch Daria Serra-Rambone von der Koordinationsstelle für den Forschungsschwerpunkt „Religion und gesellschaftliche Integration in Europa“ der Universität Luzern, Prof. Dr. Salvatore Loiero vom Lehrstuhl für Pastoraltheologie, Religionspädaogik und Homiletik der Universität Freiburg/Schweiz sowie Tobias Keßler, Leiter des Studien- und Bildungszentrums für Migrationsfragen (CSERPE) in Basel und wissenschaftlicher Mitarbeiter des Instituts für Weltkirche und Mission in Frankfurt am Main teilnahmen. Insgesamt wurde deutlich, dass die anderssprachigen Gemeinden auch angesichts der Zuwanderung neuer „Primi“ – gemeint sind Zuwanderer der ersten Generation im Unterschied zu den „Second@s“, ein Begriff der in der Schweiz für die zweite Generation steht – keineswegs ein Auslaufmodell darstellen. Insbesondere Mariano Delgado betonte das Recht auf die Seelsorge in der Muttersprache. Allerdings wurde die Ausschließlichkeit des Sprachkriteriums in den Rückfragen und Kommentaren aus der Zuhörerschaft auch hinterfragt. Tatsächlich sei festzustellen, dass sich immer mehr Menschen auch unabhängig von ihren jeweiligen Sprachkenntnissen in den anderssprachigen Gemeinden verorteten. Serra-Rambone, als Vertreterin der zweiten Generation in der Schweiz, sah in der oftmals doppelten kirchlichen Verortung dieser „Gruppe“ – Sonntagspraxis in der anderssprachigen Gemeinde versus Erstkommunion und/oder Firmung in der Territorialgemeinde – die Chance, zwischen den „beiden Welten“ vermitteln zu können. Salvatore Loiero hob hervor, dass es zahlreiche Hinweise darauf gebe, dass die Frage der Einheit in Vielfalt auch in der Urkirche keineswegs so unproblematisch gewesen sei, wie dies oft dargestellt werde. Keßler unterstrich seinerseits, dass jede Gemeinde, ob einheimisch oder anderssprachig, dazu gerufen sei, sich für die Vielfalt zu öffnen und somit „katholischer“ zu werden, so dass es am Ende gleichgültig sei, welche Gemeinde der einzelne bevorzuge, um sich darin kirchlich zu verorten.